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98 Der Kontext der Gegenreformation in Paris 1617 und in Wien 1655
Das theologische, politische und soziale Umfeld, in das sich die Wiener Überset-
zung von Marinos Streitschrift 1655 eingliedert ist in zahlreichen Punkten durch-
aus vergleichbar mit der Situation in Paris 1617, wie z. B. die aggressive Haltung der
Konfessionen zueinander, die Polemik rund um den Jesuitenorden, die Frage des Ver-
hältnisses zwischen Staat und Kirche und nicht zuletzt die Klage um einen Hoff-
nungsträger, den Thronfolger König Ferdinand IV. Wenn auch das Konfliktpotenzial
auf politischer Ebene in Österreich insgesamt wesentlich geringer ist, so haben die
konfessionellen Spannungen durchaus tiefgreifende Auswirkungen im persönlichen
Bereich, wie Details aus dem Leben des Widmungsträgers und dessen Freundeskreises
illustrieren.
Die Spannungen zwischen den Konfessionen sind natürlich in den österreichischen
Ländern seit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges enorm gestiegen, weil die
Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft im Allgemeinen mit der Sympathie für
eine der jeweiligen Kriegsparteien verknüpft wird und Protestanten in diesem Sinne
als Verräter am Herrscherhaus und Kollaborateure des militärischen Feindes einge-
stuft werden. Als bemerkenswerte Ausnahme kann daher Georg Calixt,6 ein irenisch
gesinnter, lutherischer Professor der Theologie an der Universität Helmstedt, gelten,
wenn er zum Schutz der inneren Stabilität des Heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation ein Auftreten des katholischen Kaisers gegen den protestantischen Schweden-
könig befürwortet.
Die religiöse und auch machtpolitische Ausrichtung Österreichs nach Italien liegt
in den zahlreichen familiären Verbindungen des Hochadels mit italienischen Familien
und in der zur Leitlinie erhobenen Schutzfunktion des Kaisers gegenüber dem Papst
begründet. Die intensive Beschäftigung mit spirituellem Gedankengut aus den ka-
tholischen Gebieten südlich der Alpen führt zu einer Übernahme religiöser Praktiken
während der Gegenreformation und zu einer systematischen Ansiedlung italienischer
Ordensangehöriger zur Wiederbelebung der österreichischen Klöster.
Durch die Verbreitung der lutherischen Reform verlieren die seit dem Mittelalter
in Österreich angesiedelten Orden ziemlich rasch ihre Verwurzelung in der Bevölke-
rung und sehen sich mit einem massiven Rückgang ihres Nachwuchses konfrontiert.
Selbst als die von Giovanni da Capistrano schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts
heraufbeschworene Bedrohung durch die osmanische Expansion 1529 in der ersten
Belagerung von Wien zur Realität wird, erfolgt keine Umkehr mehr in der zunehmen-
den Ablehnung der mittelalterlichen Formen von Religiosität. Eine der gegen diese
existenzielle Bedrohung ergriffenen Maßnahmen ist die Berufung italienischer Or-
6 Auch Georg Callisen bzw. Kallisen (1586–1656) ; vgl. Georg Calixt/ Elias Schiller : Sendschreiben […] an
[…] Johann Georgen, Hertzogen zu Sachsen. Wien : Johann Jakob Kürner 1653.
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Giambattista Marinos Wort-Zucht-Peitschen und die Gegenreformation in Wien um 1655
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Giambattista Marinos Wort-Zucht-Peitschen und die Gegenreformation in Wien um 1655
- Author
- Alfred Noe
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79696-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 170
- Keywords
- Giambattista Marino, translation italian-german, Counterreformation, Giambattista Marino, Übersetzung italienisch-deutsch, Gegenreformation
- Categories
- Weiteres Belletristik