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28 Eveline G. Bouwers
betonen und Gewalt de facto als »Irrweg« betrachten56. Darunter ließe sich
das Argument von Rolf Schieder fassen, dass Religionen »nicht gefährlich«,
sondern »riskant« seien; das Gewaltpotenzial ließe sich dabei durch religiöse
Bildung beheben – eine Sichtweise, die etwas naiv erscheint, sind es doch
gerade die Gewaltbereiten, die solchen Bildungsmaßnamen eher skeptisch
gegenüberstehen57. Auch für die Religionsexpertin und ehemalige Nonne
Karen Armstrong besitzt Religion keine natürliche Neigung zur Gewalt. Da
Religion historisch immer eng mit Staatsangelegenheiten verknüpft gewesen
ist, stelle ein von Gläubigen verübter Gewaltakt eine Reaktion auf Unterdrü-
ckung im säkularen Raum dar – weshalb Armstrong Fundamentalismus als
ein politisches statt religiöses Phänomen bewertet 58.
Schließlich heben vor allem Religionswissenschaftler und Religionswis-
senschaftlerinnen immer wieder die Rolle von Agency wie auch die Verzah-
nung religiös-weltanschaulicher und säkularer Differenzen für das Auf-
treten von Gewaltakten im religiösen Rahmen hervor. So hinterfragt Hans
Kippenberg die Handlungsabläufe, die der »religiösen Gewalt« zugrunde lie-
gen und betont damit sowohl die Rolle des (religiösen) Antagonisten als auch
die Bedeutung säkularer Konflikte für die Entstehung religiös begründeter
Gewalt 59. Mark Juergensmeyer zufolge sei jede terroristische Tat wiederrum
ein Akt »performativer Gewalt«, der dazu beitragen soll, dass die Opfer in
die Lebenswelt des Attentäters hineingezogen bzw. -versetzt werden60. Das
Besondere am »religiösen Terrorismus« sei allerdings, dass er auf der Idee
des »kosmischen Krieges« (»cosmic war«) basiere, d.h. auf dem ultimativen
Streit zwischen »Gut« und »Böse«. Damit werde »religiöse Gewalt« letztlich
zu einer politischen sowie sozialen Metapher. Dahingegen sieht Hector Ava-
los den Ursprung von Gewalt in dem Kampf der Religionen um »knappe Res-
sourcen«, womit er den Zugang (i) zum göttlichen Willen, (ii) zum sakralen
56 Siehe auch Irene Dingel / Christiane Tietz (Hg.), Das Friedenspotenzial von Reli-
gion, Göttingen 2009 (VIEG Beiheft 78). In diesem Kontext wird auf die »Ambiva-
lenz« von Religion hingewiesen; sie kann bestehende Gräben vertiefen, diese aber
auch überbrücken. Vgl. Alexander de Juan / Andreas Hasenclever, Kriegstrei-
ber und Friedensengel. Die ambivalente Rolle von Religionen in politischen Kon-
flikten, in: Dingel / Tietz (Hg.), Das Friedenspotenzial, S. 101–118. Indem er die
machtstützende Rolle von Religion in der Moderne positiv hervorhebt, unterstreicht
Hans Joas die Zwiespältigkeit von Religion wenn es um Konfliktkulturen geht. Hans
Joas, Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzaube-
rung, Frankfurt a.M. 2017.
57 Vgl. Rolf Schieder, Sind Religionen gefährlich?, Berlin 2008, S. 282.
58 Siehe auch Karen Armstrong, Fields of Blood: Religion and the History of Violence,
London 2014.
59 Siehe auch Kippenberg, Gewalt als Gottesdienst.
60 Siehe auch Mark Juergensmeyer, Terror in the Mind of God: The Global Rise of
Religion Violence, Berkeley 2000. Das performative Element betont auch Martin
Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München
2007.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918