Page - 34 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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34 Eveline G. Bouwers
Sektion I-1 analysiert Gewalt zum Schutz des religiös-kirchlichen Lebens,
die sich vor allem in der Begegnung mit politischen Reformen manifes-
tierte
– weshalb sie im 19.
Jahrhundert überwiegend der Austragung säkular-
katholischer Konflikte diente. Im ersten Beitrag untersucht Philip Dwyer den
Widerstand gegen die revolutionäre und napoleonische Expansionspolitik in
den von Frankreich annektierten oder unter ihrem Einfluss stehenden Gebie-
ten. Historiker haben diese Proteste meist als »Gegenrevolution« gewertet.
Dwyer argumentiert hingegen, dass dieser Begriff der Bedeutung des Faktors
Religion für die Entstehung und Austragung lokaler Widerstandsaktionen
nicht gerecht wird. So waren es vor allem Maßnahmen, wie das Verbot zur
Aufnahme von Novizen, das Prozessionsverbot und die Konfiszierung von
kirchlichem Besitz, die innerhalb der Bevölkerung auf vehemente Ablehnung
stießen. Der Fehler französischer Eliten war, dass sie die soziale Bedeutung
von Religion (wie vom Konservativismus generell) nicht erkannten und mit
ihrem Antiklerikalismus die gegen sie gerichtete Gewalt geradezu hervorrie-
fen. Das Kapitel von Eveline G. Bouwers lenkt den Blick auf Belgien. Zwar galt
das 1830 gegründete Land vielen, darunter Papst Leo XIII., als gelungenes
Beispiel für die Kooperation zwischen Katholiken und Liberalen, doch brach
der Unionismus 1857 zusammen. In den Folgejahren kam es immer wieder
zu teils gewaltsam ausgetragenen Konflikten um die Grenzen des religiösen
Raumes, so auch nachdem die Liberalen 1879 ein neues Schulgesetz verab-
schiedeten, das den klerikalen Einfluss im Bildungsbereich einschränken
sollte. Anhand des Beispiels vom westflämischen Dorf Heule erörtert Bou-
wers den lokalen Widerstand gegen das sogenannte »Unglücksgesetz« und
hebt die Pluralität katholischer Positionen hervor. Während das Episkopat
eine kirchlich-soziale Ausgrenzung der Schulreformunterstützer befürwor-
tete, lehnten katholische Parlamentarier diese ab
– aus Angst, die katholische
Öffentlichkeit zu spalten. Auch die Gläubigen waren sich über die richtige
Antwort auf die liberale Bildungspolitik uneinig und griffen nur mancher-
orts zu gewalttätigen Protestformen. Je stärker die Polarisierung zwischen
katholischer und liberaler Seite mit der Zeit wurde, desto erfolgreicher war
die Versöhnung innerhalb des katholischen Lagers, womit die ersten Wei-
chen für die »Versäulung« im 20. Jahrhundert gestellt wurden.
Sektion I-2 handelt von Gewaltakten, die Gläubige in ihrem Kampf mit
der kirchlichen Hierarchie begleiteten, z.B. wenn lokale religiöse Praktiken
drohten abgeschafft oder überhaupt nicht anerkannt zu werden. Der bereits
zitierte Beitrag von Brian A. Stauffer zeigt, wie mexikanische Gläubige wäh-
rend den 1870er Jahren gegen Staat und Kirche aufbegehrten. Angefangen
hatte die Gewalt der religioneros, als die Regierung den Einfluss der Kirche
gesetzlich eingrenzte und alle Staatsdiener zu einem Eid auf die Verfas-
sung zwang. Doch es war die Verweigerung ultramontaner Bischöfe, sich
für den Erhalt lokaler Glaubenspraktiken auszusprechen, die das Fass zum
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918