Page - 37 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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37Glaube
und Gewalt
wurden. Der Angriff war Teil eines bereits seit längerem schwelenden Kon-
fliktes zwischen arabischen und Swahili-Händlern einerseits und der 1882
gegründeten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft andererseits. Doch
wie Hölzl hervorhebt, wurde die Gewalt in der deutschen Öffentlichkeit
und Politik vor allem als Angriff auf eine christliche Zivilisierungsmission
gewertet. Auch Reichskanzler Bismarck und treibende Kräfte im Reichstag
deuteten den Handelskonflikt in einen religiösen Kampf um; unter Verweis
auf die Gewalt von »muslimischen Fanatikern« ließe sich der Übergang zu
einer staatlichen Kolonialherrschaft in Ostafrika begründen.
Schließlich geht es in Sektion II-2 um Diskurse, die künftige Gewalt
semantisch vorbereiteten und legitimierten. Julie Kalman prüft die »Damas-
kus Affäre«, im Rahmen derer ein französischer Kapuzinermönch und
sein Diener im Jahr 1840 spurlos aus der osmanischen Stadt verschwanden.
Damaskus war ein religiös-kultureller Schmelztiegel, doch die vom fran-
zösischen Konsul eingeleitete Untersuchung konzentrierte sich nur auf die
ansässigen Juden; laut Comte de Ratti-Menton war Pater Thomas einem
Ritualmord zum Opfer gefallen – einem Mord an Christen durch Juden, der
dazu diente, Blut für den ungesäuerten Teig des Brotes für das Pessachfest zu
bekommen. Nachdem die Emanzipation der Juden im späten 18.
Jahrhundert
konservative Kreise verunsichert hatte, griffen katholische Zeitungen die
Ritualmordgeschichte dankbar auf. Berichteten sie anfänglich noch von den
Juden im »unzivilisierten« Nahen Osten, lenkten sie zunehmend den Blick
auf die Juden in Frankreich selbst. Das Bild der Juden änderte sich dabei,
so Kalman, grundlegend. Anders als seine Damaszener Glaubensgenossen
war der französische Jude weniger gewalttätig als bösartig. Somit stellte die
Berichterstattung über die »Damaskus Affäre« die Weichen für einen neuen
Antisemitismus und künftige Gewalt. Mary Vincent analysiert den gegen-
revolutionären Diskurs in Spanien, der im 19. Jahrhundert in Reaktion auf
antiklerikale Angriffe entstand und, so die These ihres Beitrags, den Weg in
Richtung Bürgerkrieg (1936–39) ebnete. Anders als der politische Legitimis-
mus hatte der religiöse Integralismus viel Zulauf in Spanien. Er schöpfte aus
der Theologie, besonders aus der Eschatologie; zu den Leitkonzepten gehörte
Leiden, Aufopferung, Buße, Apokalypse und Hingabe. Zwar war diese Theo-
logie an und für sich nicht gewalttätig, doch sie verankerte die Verbindung
von Religion und Gewalt in den Köpfen spanischer Konservativer. Gerade
in Momenten der politischen Krise konnte dieser Gedanke laut Vincent
aktiviert werden. Damit ebnete der Integralismus den Weg für einen neuen
»Kreuzzug«: den Spanischen Bürgerkrieg. Die semantische Vorbereitung von
Gewalt – hier Kriegsgewalt – findet sich auch im Kapitel von Michael Snape,
der den Einsatz von katholischen Soldaten für die britische Krone zur Zeit
des Ersten Weltkrieges untersucht. Auch wenn Katholiken sich im 19. Jahr-
hundert u.a. aufgrund ihrer Einbringung im Militär hatten emanzipieren
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918