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76 Eveline G. Bouwers
Fürsorgeamt die Verlegung der Schule, erwähnte jedoch nicht die Kongre-
gation; erst Mitte 1880 informierte Bürgermeister Auguste Lagae, ein wenig
standfester Beamter, den Arrondissementskommissar über den Weiterver-
bleib des Vereins. Der bat wiederum mehrmals um eine Bestätigung vom
Fürsorgeamt, dass das Gebäude keinen kirchlich-religiösen Zwecken diene,
doch die Antworten blieben vage. Die Briefe lassen Irritationen durchblicken,
die eng mit Animositäten im Dorf zusammenhingen. Während der liberal
gesinnte Bürgermeister Lagae eine klerikale Nutzung des Gebäudes ablehnte,
beanspruchten sein verfeindeter Cousin Auguste Aloïse Lagae (Präfekt der
Kongregation) und Edmond de Quinnemar, Ehemann einer gemeinsamen
Lagae-Nichte und treibende Kraft im Fürsorgeamt, den Erhalt des Gebäudes
für kirchlich-religiöse Aktivitäten.
Am 20. September 1880 unterzeichnete Gouverneur Heyvaert ein Dekret
für die Entsendung eines Spezialkommissars nach Heule mit dem Ziel,
den »Missbrauch« des besagten Lokals zu unterbinden. Dies war Florentin
Bouez, der zehn Tage später die Kommunalbehörde über die für den 1.
Okto-
ber geplante Räumung des Gebäudes informierte. Am Folgetag meldete er
sich um 8 Uhr beim Bürgermeister, der Bouez Ankündigung aus Angst vor
öffentlichen Reaktionen weder an das Fürsorgeamt weitergeleitet hatte, noch
bereit war ihn zu begleiten. Auch der Feldhüter verweigerte seine Unterstüt-
zung. Mit der Botschaft, er habe nichts zu befürchten, schickte Lagae Bouez
mit einem Schlüsselbund fort. Da kein Schlüssel zu den Türen passte, klet-
terte der Kommissar über das Nachbargelände und gelang durch die Hinter-
tür in das Gebäude. Inzwischen ging die Nachricht vom Kortrijker Gast wie
ein Lauffeuer durch das Dorf und alsbald hatte sich eine beträchtliche Men-
schenmenge vor der Tür postiert. Wenig später stürmte eine kleine Gruppe
das Gebäude, ergriff Bouez und warf ihn buchstäblich aus dem Haus. Dort
wuchsen Menschenmenge und Stimmung fieberhaft an. Die Protestieren-
den beschimpften Minister Van Humbeeck und Gouverneur Heyvaert (jetzt
»Levaart«, was im Westflämischen Hering bedeutet), machten Drohgebärden
und drängten immer weiter auf Bouez zu. Die beiden Gendarmen, die ihn ins
Kortrijk [im Folgenden SAK] Modern Gemeentearchief Heule [im Folgenden
MGAH] 384. Siehe u.a. auch Gazette van Kortrijk, 2. Oktober 1880; Le Bien Public,
insbes. 2.–9. Oktober 1880; Het Handelsblad van Antwerpen, insbes. 2.–10. Oktober
1880; L’ Écho du Parlement, insbes. 3.–8. Oktober 1880; Journal de Bruxelles, insbes.
3.–12. Oktober 1880; L’ Indépendance Belge, insbes. 4.–13. Oktober 1880. Siehe auch
E. Verheust, Episode de la guerre scolaire dans le Courtraisis (1880): le drame de
Heule, in: Handelingen van de Koninklijke Geschied- en Oudheidkundige Kring van
Kortrijk 31 (1959–1960), S. 121–154; Le grand jour sur le drame de Heule: récits des
faits accompagné d’un plan topographique et de tous les documents officiels, Brügge
1880 / De moorderij van Heule bij den fakkel der waarheid te klaren tooge gesteld:
verhaal der gebeurtenissen met het grondplan der plaatsen erbij, en de weerlegging
der geusche lasteringen, Brügge 1880. Literarisch verarbeitet wurde die Geschichte in
Stijn Streuvels, Heule, Amsterdam 1942.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918