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Vor 1918
Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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114 Brian A. Stauffer haben, als sie in die Schlacht zogen, andere ein Skapulier, auf dem das Bild ihres Lokalheiligen prangte78. In der Gegend um Zipiajo aktive religioneros trugen »gedruckte Gebetsbücher bei sich, die sie als Reliquien bezeichneten, um zu verhindern, dass sie ohne Beichte stürben«79. Kurzum, die religioneros kämpften und starben für einen Glauben, der eklektisch, zutiefst lokalistisch und mitunter eindeutig heterodox war. Überdies war das damit verbundene Weltbild durch die Reformgesetze in besonderem Maße bedroht und konnte kaum auf Unterstützung des reformistisch gesinnten Klerus setzen. Die religioneros scheinen performative und öffentliche Formen der Gewalt bevorzugt zu haben. In manchen Fällen wurden Beamte von Pferden über den zentralen Platz des Ortes geschleift; andere wurden dort mit Mache- ten oder Schrotflinten hingerichtet80. Neben der direkt gegen Amtsträger, die den Eid geschworen hatten, gerichteten Gewalt war eine Konstante des Konflikts das Abbrennen kommunaler Archive, in denen die protesta-Akten lagerten. Dass zuweilen besonders verhasste Beamte mit Vorsatz angegriffen wurden, legt den Schluss nahe, dass es sich mitunter um Racheakte handelte. Doch die Indizien deuten auch auf Gründe, die sozusagen »nicht von dieser Welt« sind. Mit ihren »Reliquien« und Heiligenbannern verlegten die religio- neros ihren Kampf auf eine höhere Ebene; beim Verbot des öffentlichen Kul- tus ging es nicht mehr um eine juristische, sondern existenzielle Frage. Die Reformgesetze kappten die direkte Verbindung zwischen Gott und Mensch, weshalb die religioneros ihre Schutzheiligen um deren Wiederherstellung anriefen. In Anbetracht dessen, dass die Eskalation der Aufstände 1875 mit dem Höhepunkt des liturgischen Jahres (Dezember bis April) zusammen- fiel, ließe sich gar behaupten, die kollektive Gewalt gegen Funktionäre und die Zerstörung der Archive habe den Platz des öffentlichen Ritus eingenom- men: An die Stelle der verbotenen Karwochenprozession wäre demnach der Marsch auf das Rathaus getreten; statt Feuerwerk an Heiligengedenktagen gab es Gewehrsalven. Berichte über die Ermordung des Landrats (presidente municipal) Sabas Osio, eines eingefleischten Antiklerikalen, der die belieb- ten öffentlichen Rosenkranzgebete verboten hatte, stützen diese Hypothese. Es heißt, Katholiken hätten den Tod Osios mit Musik und Festlichkeiten vor dessen Wohnhaus gefeiert81. 78 Andres Villegas Rendón, Zamora, an den Innenminister, Morelia, 29.  März 1875, AGHPEM, Guerra y Ejército, caja 3, exp. 46. 79 El Progresista, 24.  Januar 1876. 80 Albino Fuentes Acosta, Puruándiro, an den Innenminister, Morelia, 27.  Januar, 1875  AGHPEM, Guerra y Ejército, caja 2, exp. 13; Albino Fuentes Acosta, Puruán- diro, an den Innenminister, Morelia, 19.  März 1875 AGHPEM, Guerra y Ejército, caja  3, exp.  38. 81 La Bandera de Ocampo, 31.  Januar 1875.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Title
Glaubenskämpfe
Subtitle
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Editor
Eveline Bouwers
Publisher
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Date
2019
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Size
15.9 x 23.7 cm
Pages
362
Keywords
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Categories
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