Page - 121 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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121Gewalt
unter ländlichen Katholiken in der späten Habsburgermonarchie
Emanzipation dar18. Die katholische Kirche war also auf der lokalen Ebene
unterschiedlichen Erwartungen und Ansprüchen ausgesetzt – daher kann
die Rede von mehreren »Katholizismen« in der späten Habsburgermonar-
chie sein19.
Besonders die Sprachenfrage stellte sich als nationalpolitisches Thema20.
Diese gewann eine große Bedeutung auch im kirchlichen Raum
– etwa infolge
der Debatten um die sog. altslawische (oder glagolitische) Liturgiesprache21.
Auch Forderungen nach muttersprachlicher Liturgie wurden vom Kontext
der Debatten um die altslawische Liturgie überschattet. Worum handelte es
sich dabei ursprünglich? Das Privileg, altslawische Gottesdienste lesen zu
dürfen, entstand noch im Rahmen der Christianisierung des europäischen
Ostens und Südostens im Mittelalter22. Nach dem Ost-West-Schisma durf-
ten einige Diözesen in Westkroatien, Istrien und Dalmatien die altslawische
Sprache und glagolitische Schrift (als eigenen Usus) innerhalb einer sonst
nach lateinischem Ritus zelebrierten Messe weiterverwenden23. Schon lange
vergessen, wurde die altslawische Liturgiesprache erst im 19. Jahrhundert
von oben wiederentdeckt 24: Die altslawische Tradition hätte eine katholische
18 Vgl. Stipan Trogrlić, Katolička crkva u Istri. Nacionalno-političke i idejne podjele
(1880–1914), Pula 2006, S. 95–97; Rupert Klieber, Grandi e piccole comunità
religiose nella monarchia asburgica fra lealismo e identità nazionali, in: Brigitte
Mazohl / Paolo Pombeni (Hg.), Minoranze negli imperi. Popoli fra identità nazio-
nale e ideologia imperiale, Bologna 2012, S. 375–396, hier S. 389f.
19 Vgl. Moritz Csáky, Paradigma Zentraleuropa: Pluralitäten, Religionen und kultu-
relle Codes. Religion – Mythos – Nation. Einführende Überlegungen, in: Moritz
Csáky / Klaus Zeyringer (Hg.), Pluralitäten, Religionen und kulturelle Codes. Reli-
gion – Mythos – Nation, Innsbruck u.a. 2001, S. 9–17, hier S. 13.
20 Vgl. Antoni Cetnarowicz, Narodni preporod u Istri (1860–1907). Übersetzt aus
dem Polnischen von Magdalena Najbar-Agičić, Zagreb 2014, S. 241.
21 Vgl. Mile Bogović, Hrvatsko glagoljsko tisućljeće, in: Senjski zbornik 25 (1998),
S. 1–137, hier S. 122f.; Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen, S. 38f.
22 Vgl. Peter Plank, Die geschichtliche Entwicklung der orthodoxen Kirche im Südos-
ten und Osten Europas, in: Wilhelm Nyssen u.a. (Hg.), Handbuch der Ostkirchen-
kunde. Bd. 1, Düsseldorf 1984, S. 133–223, hier S. 136f.
23 Zur Begrifflichkeit vom lateinischen Ritus und glagolitischen Usus, vgl. Predrag
Bukovec, Der glagolitische Usus des römischen Ritus, in: Ostkirchliche Studien 64
(2015), S. 96–129, hier S. 97.
24 Papst Leo XIII sympathisierte mit der vom slawonischen Bischof Josip Jurij
Strossmayer propagierten Idee, mithilfe der Einführung der altslawischen Liturgie-
sprache die kirchliche Einheit aller Südslawen unter der Ägide des Katholizismus
zu erreichen; zur sogenannten kyrillo-methodianischen Idee, siehe auch Angelo
Tamborra, L’ idea cirillo-metodiana in Europa nei secoli XIX–XX, in: Storia e
politica 27 (1979), H. 4, S. 666–702; Klaus Buchenau, Katholizismus und Jugosla-
wismus. Zur Nationalisierung der Religion bei den Kroaten, 1918–1945, in: Martin
Geyer / Hartmut Lehmann (Hg.), Religion und Nation. Nation und Religion, Göt-
tingen 2004, S. 225–254, hier S. 228f.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918