Page - 143 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 143 -
Text of the Page - 143 -
143Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
[I]ch, dessen lebenslanger Alptraum es gewesen wäre, wenn er nicht das Verschwin-
den jener Bauwerke mitangesehen hätte, beeilte mich, vor meiner Abreise damit abzu-
schließen, um weder ein Andenken noch eine Spur ihrer Existenz übrigzulassen […].
Zum Zorn unserer barbarischen Nachbarn hatte ich die Genugtuung, die berühmte
Moschee mitsamt ihren hundertjährigen Feigenkakteen verschwinden zu lassen8.
Die Zerstörung des Gotteshauses selbst sowie der sie umgebenden, von den
Berbern als heilig angesehenen Vegetation, aber auch die Genugtuung, die der
Gouverneur angesichts der Aktion offenbar empfand, scheinen die Annahme
einer religiösen Feindschaft im Grenzgebiet zu bestätigen. Alexandre Joly
(1870–1913)9, französischer Wissenschaftler und Mitglied der »Mission Sci-
entifique du Maroc«, analysierte noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Ver-
hältnis zwischen Spaniern und Marokkanern rückblickend: »Der religiöse
Fanatismus
[…], nahezu identisch auf beiden Seiten, machte den Schutzwall,
der beide Völker voneinander trennte, noch unüberwindbarer«10. Er sah in
der Grenzlage beider Länder und einer damit verbundenen Tradition der
religiösen Abgrenzung, der Bedrohung und Verteidigung den wahren Kern
des spanisch-marokkanischen Gegensatzes: »Die Wahrheit ist«, so Joly, »dass
die Nordmarokkaner
[…] immer gegen die Spanier gekämpft haben, die, auf-
grund ihrer geografischen Lage, der Vorposten Europas und der Christen-
heit sind, so wie sie es für den Islam […] waren«11.
Ziel des Aufsatzes ist es, zu hinterfragen, inwieweit das Bild des religiö-
sen Gegensatzes von Christen und Muslimen der lokalen Realität um Meli-
lla zu Beginn der modernen spanischen Expansion in Nordafrika um 1860
entsprach12. Anhand der Auseinandersetzungen um die besagte Moschee
werden Formen physischer und symbolischer Gewalt im Grenzgebiet auf-
gezeigt, um anschließend zu hinterfragen, ob es sich dabei tatsächlich um
8 Maldonado ans Kriegsministerium, Melilla, 24.
Dezember 1863, Archivo General de
la Administración (im Folgenden: AGA), 15(17) Sektion Afrika, Marokko (im Fol-
genden: SAM), 81 / 00131. Diese und folgende Übersetzungen fremdsprachiger Zitate
stammen von der Autorin.
9 Zu Alexandre Joly vgl. Benjamin Claude Brower, Joly Alexandre, in: François
Pouillon (Hg.), Dictionnaire des orientalistes de langue française, Paris 2012,
S. 551.
10 Alexandre Joly, Historia crítica de la Guerra de Africa, Madrid 1910, S. 13.
11 Ebd., S. 12.
12 Intensiv mit der Grenzregion um Melilla haben sich vor allem Ethnologen ausein-
andergesetzt, darunter insbesondere Henk Driessen, dessen Arbeiten zum (in den
1990er Jahren) aktuellen Zusammenleben von Muslimen und Christen in der Region
sich auch relativ ausführlich mit dem historischen Hintergrund dieses Zusammenle-
bens beschäftigen, vgl. Henk Driessen, On the Spanish Moroccan Frontier. A Study
in Ritual, Power and Ethnicity, New York 1992 sowie ders., The Politics of Religion
on the Hispano-African Frontier. A Historical-Anthropological View, in: Eric R.
Wolf (Hg.), Religious Regimes and State Formation. Perspectives from European
Ethnology, Albany 1991, S. 237–259.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918