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146 Sara Mehlmer
die daher überwiegend über den spanischen Vertreter in Tanger verlief. Aber
auch die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln und anderen Gütern des
täglichen Bedarfs war unzureichend, sodass die Exklave auf Lieferungen
entsprechender Waren aus dem berberischen Umland angewiesen war, was
wiederum grenzüberschreitende Handelskontakte begünstigte20.
Zugleich war der territoriale Konflikt omnipräsent, wovon unzählige
gewaltsame Zusammenstöße Zeugnis ablegen. Schließlich war mit der
Exklave ein strategisch wichtiger Knotenpunkt im marokkanischen Gebiet
dauerhaft spanisch besetzt, was nicht nur den marokkanischen Staat im All-
gemeinen, sondern auch die Riffbewohner im Besonderen immer wieder
zu (Rück-)Eroberungsversuchen motivierte. Auf der anderen Seite gehörten
bewaffnete Einsätze mit dem Ziel der Sicherstellung von Waffen oder der
Zerstörung berberischer Stützpunkte zur spanischen Verteidigungsstrate-
gie der Exklave und damit zum Alltag der Bevölkerung vor Ort. Eine reli-
giöse Aufladung der Konflikte wurde auch semantisch begünstigt, indem
beispielsweise das Gebiet jenseits der Grenze von den Spaniern als »Gebiet
der Ungläubigen« (»campo infiel«), als »Gebiet der Muslime« (»campo mu-
sulmán«) oder »Gebiet der moros« (»campo moro«) bezeichnet, die territori-
ale Grenze also als identisch mit der ethnischen und religiösen Grenze ver-
standen und definiert wurde.
Bei dem Gebiet jenseits der Grenze handelte es sich um das von sesshaf-
ten Berbern bewohnte östliche Riffgebiet. Die dort ansässigen Angehöri-
gen der Qal’ aya (Tamazight: Iqar’ ayen21, in spanischen Quellen als »Gue-
laya« / »Guelaia« bezeichnet), ein Zusammenschluss von fünf verschiedenen
Stämmen, lebten überwiegend von der Landwirtschaft22. Hauptsprachen
waren Tamazight und Arabisch, einige wenige Einwohner verfügten außer-
dem aufgrund regelmäßiger Kontakte zu Spaniern über rudimentäre Spa-
nischkenntnisse23. Das Riffgebiet war trotz seiner geografischen Zentrallage
zwischen dem Rest Marokkos einerseits und den anderen Maghrebstaaten,
dem Mittelmeerraum sowie dem osmanischen Nachbarn andererseits von
einer politischen Randständigkeit und einer damit verbundenen relativen
ben Francisco Merry y Coloms nach Madrid, Tanger, 26. Mai 1862, Archivo Histo-
rico Nacional (im Folgenden: AHN), Exteriores, H 1638 sowie Relosillas, Catorce
Meses, S. 10.
20 Vgl. hierzu Mehlmer, Grenzleben zwischen Religion und Realpolitik.
21 Vgl. David M. Hart, The Rif and the Rifians. Problems of Definition, in: The Journal
of North African Studies 4 (1999), H. 2, S. 104–109, hier S. 105.
22 Vgl. Germain Ayache, Les origines de la Guerre du Rif, Paris 1981, S.
98; vgl. Carleton
Coon, Tribes of the Rif, Cambridge MA 1931, S. 43. Beispielhaft zur agrarischen
Lebensweise eines zentralen Berberstamms vgl. David M. Hart, The Aith Waryag-
har of the Moroccan Rif. An Ethnography and History, Tucson 1976, S. 48–63.
23 Vgl. Manuel Juan Diana, Un prisionero en el Rif. Memorias del Ayudante Álvarez,
Madrid 1859, S.
19. Ähnliches stellte Juan José Relosillas für die Berber um Ceuta fest,
vgl. Relosillas, Catorce meses, S. 147.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918