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165Kollektive
Gewalt und die religiöse Politisierung von Bauern
Beitrag leisten zum Verständnis der Politisierung von Religion sowie der eth
nischen und nationalen Aufladung religiöser Differenz in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts.
Nach einem kurzen Überblick über die religiösen, sozialen, politischen,
ökonomischen und ethnischen Zustände Galiziens am Vorabend der Revo
lutionen von 1848 wird im Folgenden der »Rabatz« von 1846 und seine reli
giöse Dimension beschrieben. Der dritte Abschnitt behandelt den Umgang
des galizischen Klerus mit der Gewalt und den Gewaltakteuren sowie die
Formierung eines katholischen Antisemitismus in Galizien ab den 1880er
Jahren. Anschließend werden der Charakter und die Bandbreite der Über
griffe auf Juden im Jahr 1898 geschildert und nach dem Einfluss klerikaler
antijüdischer Mobilisierung, wie nach den Eigenlogiken bäuerlichen Han
delns und der religiösen Dimension der antisemitischen Exzesse gefragt.
Multiethnizität und Neo
Feudalismus im Galizien des Vormärz
Das Kronland »Galizien und Lodomerien« wurde von den Habsburgern aus
der Landmasse gegründet, die sie im Zuge der Ersten Teilung der polnisch
litauischen Adelsrepublik am Ende des 18. Jahrhunderts annektiert hatten5.
Politisch, sozial und ökonomisch vorherrschend war daher der polnische
Adel, der seine Position auf Grundbesitz und diverse Privilegien stützte. In
der neo
feudalen Gesellschaftsordnung, die typisch für die »zweite Leib
eigenschaft« in Ostmitteleuropa war, war die Bevölkerungsmehrheit der
Bauern durch Frondienste, Landlosigkeit und eingeschränkte persönliche
Freiheit vom Grundherrn abhängig. Im Westteil des Landes sprach die
Mehrheit der Bauern polnisch und gehörte der römisch
katholischen Kirche
an. Im Ostteil waren sie überwiegend ukrainischsprachig (bzw. ruthenisch
sprachig) und meist Mitglieder der unierten griechisch
katholischen Kirche,
die den Papst in Rom anerkannte, jedoch den orthodoxen Ritus beibehielt 6.
Ständische, religiöse und lokale Zugehörigkeit waren für das Selbstver
ständnis von zentraler Bedeutung; nationale Kategorien spielten hingegen
für die Bauern keine Rolle7. Darüber hinaus bewegten sich zwischen Adel
und Bauern die ca.
10 % der Bevölkerung ausmachenden Juden. Als typische
5 Siehe auch Larry Wolff, The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Po
litical Culture, Stanford CA 2010; Hans Christian Maner, Galizien. Eine Grenzre
gion im Kalkül der Donaumonarchie im 18. und 19. Jahrhundert, München 2007.
6 Zu den diversen Katholizismen in der Habsburgermonarchie und ihrem Verhältnis
zu Rom siehe auch Andreas Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen in
der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und
nationale Identitäten 1878–1914, Wien 2010.
7 Siehe auch Kai Struve, Bauern und Nation in Galizien. Über Zugehörigkeit und
soziale Emanzipation im 19. Jahrhundert, Göttingen 2005.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918