Page - 196 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Image of the Page - 196 -
Text of the Page - 196 -
196 Katharina Stornig
Sitten ihrer Eltern und Verwandten zumindest temporär entzogen wären28.
Die Missionsstation fungierte in der missionarischen Vorstellung und religi-
ösen Topographie als eine Art katholische Enklave inmitten einer als dunkel,
sündhaft und moralisch gefährlich konstruierten (und erlebten) Umwelt29.
Zudem bemühte sich die SVD-Mission darum, Internate einzurichten und
möglichst viele Kinder für einige Zeit ganz auf der Missionsstation zu behal-
ten, um diese dem Einfluss der indigenen sozialen und kulturellen Umge-
bung zu entziehen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, müssen wir diese
enorme Hoffnung und die gleichzeitige tiefe Ablehnung der sozialen, kultu-
rellen und religiösen Praktiken der indigenen Bevölkerung zentral berück-
sichtigen, um sowohl die gewalttätigen Handlungen von Missionaren und
Missionsschwestern als auch die Debatten darüber zu verstehen.
Gewalt in der Missionsschule
Während die missionarische Vision von der Erziehung einer neuen katho-
lischen Generation von Kindern und Jugendlichen in der Missionsschule
auf Tumleo in der Theorie überzeugen mochte, war die praktische Erfah-
rung doch eine andere. Die Quellen berichten u.a. von massiven Sprach-
und Kommunikationsproblemen, vielfachen Fremdheitserfahrungen sowie
unentschuldigtem Fernbleiben von Schülern und Schülerinnen30. Auf Tum-
leo, wo die erste und für einige Jahre wichtigste Schule der SVD-Mission
entstanden war, lag der Unterricht um 1900 zu einem wesentlichen Teil in
den Händen der eingangs genannten Schwester Valeria Dietzen, die sich
in den Missionskreisen bald als besonders tüchtige Lehrerin einen Namen
machte31. Blicken wir nun auf das, was Schwester Valeria selbst über ihre
frühen Erfahrungen in Schule und Unterricht berichtete, so wird zunächst
deutlich, dass sie von Beginn an wohl auch Schläge einsetzte, um das
28 »Es ist für diese Kinder ein großer Vorteil das sie so lange unter guter Aufsicht sein
können, denn zu Hause in ihrer heidnischen Umgebung sehen sie eben nicht viel
Erbauliches. Heiden sind Heiden und was ist viel Gutes in sittlicher Beziehung von
diesen zu erwarten«; Sr. Valeria Dietzen, 7. März 1901, in: AG SSpS PNG 6201, Kor-
respondenz 1899–1910.
29 So bat z.B. Schwester Ursula Sensen in einem Brief an ihre Vorgesetzte in Steyl um
viele Gebete für die Missionsschwestern in Neuguinea, denn »die Gefahren und Ver-
suchungen sind hier größer als in Europa, beten sie viel für uns, damit wir nicht in
die Fallstricke des Teufels gelangen«; Sr.
Ursula Sensen, 25.
Februar 1900, in: AG
SSpS
PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910.
30 Vgl. Steffen, Die Anfänge, S. 40f.; Stornig, Sisters Crossing Boundaries, S. 294–
297.
31 Präfekt Limbrock lobte in seinen Briefen nach Europa wiederholt die Leistungen und
den Einsatz der Missionsschwestern in der Lehr- und Erziehungstätigkeit; Eberhard
Limbrock, 19. Mai 1906, in: Alt (Hg.), Arnold Janssen – Briefe, S. 339.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918