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228 Sean Farrell
tische Politik in der Stadt Derry zu beanspruchen, die lange eine liberale
Hochburg gewesen war. Dem Gebrauch der Eisenbahn zu Machtdemons-
trationen seitens des Oranierordens sollte im politischen Leben Ulsters eine
immer stärkere Bedeutung zukommen. Als der bereits erwähnte William
Johnson in Bangor in der Grafschaft Down 1867 eine riesige Kundgebung
gegen den »Party Processions Act« – der gegen konfessionelle Aufmärsche
gerichtet war
– abhielt, kamen tausende Anhänger der Oranier mit dem Zug
in die Stadt27.
Kritiker monierten folglich, der Earl of Enniskillen habe die Eisenbahn
für eigene politische Interessen missbraucht. Andere beklagten mangelnde
politische Neutralität seitens der Eisenbahngesellschaft, denn ihren Orga-
nisationen sei die Anmietung von Sonderzügen verweigert worden28. Zei-
tungsberichte von der Veranstaltung in Derry stützten die Wahrnehmung
enger Verbundenheit zwischen dem Oranierorden und dem bürgerlichen
Establishment. Viele Berichte enthielten lange Mitschriften der Reden des
Grafen und anderer Würdenträger beim Bankett im Zunfthaus von Derry –
Ansprachen, die vor den bekannten antikatholischen Codes strotzten. Den
Mittelpunkt der Feierlichkeiten bildete eine Prozession im Schatten der
Stadtmauern und zum Denkmal des Stadtkommandanten George Walker,
beides Gedenkorte einer heroischen Erzählung des siegreichen irischen Pro-
testantismus im späten 17. Jahrhundert, auf die Oranier und Konservative
rekurrierten. Dabei sprachen der Earl of Enniskillen, der Bürgermeister der
Stadt, mehrere Ratsherren sowie der protestantische Dekan von Derry und
einige anglikanische Geistliche29. Der Ablauf des Tages veranschaulicht, wie
innig das Verhältnis des Oranierordens in Teilen des irischen Nordens mit
der britischen Verwaltung blieb. War es da ein Wunder, wie ein Belfaster
27 Vgl. Sean Farrell, Recapturing the Flag. The Campaign to Repeal the Party Proces-
sions Act, 1860–72, in: Eire-Ireland XXXII (1997), S. 52–78.
28 Belfast Mercury, 20. September 1854; Catholic Telegraph, 16. September 1854. Aus
den Akten der Eisenbahngesellschaft geht hervor, dass der Vorstand unschlüssig
war, wie mit Sonderzügen umzugehen sei. Londonderry and Enniskillen Company
Minute Book, August – September 1854 (PRONI, UTA / 13 / A / 1 / 721), S. 728–730.
29 Die Belagerung Derrys gehörte zu den dramatischsten Ereignissen an der irischen
Front während der von Wilhelm III. von England (Wilhelm von Oranien) zwischen
1688 und 1691 geführten Kriege. Die Belagerung begann im Dezember 1688, als
einige der protestantischen Bewohner die Stadttore vor dem heranrückenden Heer
des abgesetzten katholischen Königs Jakob II. verrammelten. Unter der Führung
u.a. des Reverend George Walker harrte die Garnison mitsamt Siedlern aus dem
Umland bis Juli 1689 aus, bis es dem Heer Wilhelms gelang, die Blockade zu durch-
brechen. Das Denkmal »Walker’ s Pillar« wurde 1828 errichtet, im Zuge konservati-
ver Bestrebungen, die Belagerung Derrys in konfessionellen Begriffen zu definieren;
vgl. Ian McBride, The Siege of Derry in Ulster Protestant Mythology, Dublin 1997,
S. 9–20, 46–54.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918