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229Der
Bahnfrevel von Trillick
Redakteur trocken anmerkte, dass die Irinnen und Iren so wenig Vertrauen
in die Unparteilichkeit ihrer Gerichtsbarkeit hatten30?
Von Anfang an verdrängten konfessionelle Deutungsmuster andere
mögliche Erklärungen des Bahnfrevels von Trillick. In der umfangreichen
Berichterstattung finden sich nur sehr wenige Verweise auf die Gefahren des
Schienenverkehrs, obwohl dies im viktorianischen Diskurs ein bereits sehr
gegenwärtiges Thema war31. Nur die Times aus London stellte einen klaren
Bezug zu einem unlängst geschehenen Bahnunglück bei Straffan in der Graf-
schaft Kildare her, bei dem im Oktober 1853 16 Menschen ums Leben gekom-
men waren, als ein Güterzug einen stehengebliebenen Passagierzug gerammt
hatte. Bis zum Unglück von Armagh 1889 blieb dies der tödlichste Unfall
der irischen Eisenbahngeschichte32. Dahingegen war im Fall von Trillick die
überwältigende Mehrheit der Stimmen, ob nun britisch oder irisch, konser-
vativ oder liberal, anglikanisch, katholisch oder presbyterianisch, überzeugt,
dass es sich um einen Anschlag handele, der auf menschliche Taten zurück-
zuführen sei
– handele es sich bei den Tätern nun um katholische Verschwö-
rer oder oranische Scharfmacher.
Ängste vor dem Phänomen Eisenbahnreise tauchten eher in einer anderen
Form in der Berichterstattung über den Bahnfrevel von Trillick auf. Ultra-
protestantische Autoren bedienten sich der schieren Gewalt und des Umfangs
der Entgleisung, um das Ereignis mit einem machtvollen mythischen Nar-
rativ der irischen Geschichte und Gegenwart zu verknüpfen. Gestalten wie
der Reverend Thomas Drew priesen das mannhafte Heldentum des Grafen
und stellten die Leiden des »armen Mitchell« (des getöteten protestantischen
Heizers) in Bezug zur barbarischen Heimtücke der Männer, die so viele
unschuldige Menschen hatten umbringen wollen. Wie ein Augenzeuge dem
Daily Express schrieb: »[D]ie Schreie von 800 Menschen, die den Augenblick
nicht kannten, da sie der Ewigkeit entgegengeschleudert würden, der Sturm
aus den Waggons, die Flucht vor der Gefahr platzender Dampfkessel, das
Klettern über Felsen und Abhänge entlang der Strecke in der Dunkelheit,
vier Meilen von der nächsten Stadt […] diese barbarische Örtlichkeit. […]
30 The Ulsterman, 16. September 1854. Über die protestantischen Feierlichkeiten in
Derry berichteten etwa Belfast News Letter, 18.
September 1854, Londonderry Senti-
nel, 22. September 1854, Northern Whig, 19. September 1854.
31 Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisie-
rung von Raum und Zeit im 19.
Jahrhundert, München 1977, S.
117–120; Jill Matus,
Dickensian Dislocations. Trauma, Memory, and Railway Disaster, in: Helena
Mitchie / Ronald R. Thomas (Hg.), Nineteenth-Century Geographies. The Trans-
formation of Space from the Victorian Age to the American Century, New Brunswick
2003, S. 225–236; Ian Carter, Railways and Culture in Britain. The Epitome of
Modernity, Manchester, 2001, S. 51–99.
32 Dublin Evening Mail, 22. September 1854.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918