Page - 261 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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261Missionare
als Opfer muslimischer Gewalt?
der Islam nicht etwa zum unterentwickelten Objekt von europäischen Zivi-
lisierungsmissionen, sondern mutierte zum absoluten Anderen der »christli-
chen Zivilisation«, d.h. zu einem scheinbar pervertierten Gegenmodell, das
in der Erfahrung der christlichen Missionare in vielen Gebieten nördlich der
Sahara, aber auch in West- und Ostafrika durchaus attraktiv für die Bevölke-
rung war, oft attraktiver als christliche Missionen. Rebekka Habermas unter-
streicht den politischen Charakter dieses Islambildes, das zur Legitimierung
von Kolonialismus diente75. Dies lässt sich präzisieren: Missionen waren der
entscheidende Schlüssel, um protokoloniale und koloniale Konflikte und
Kriege aus ihren regionalen politischen, ökonomischen und kulturellen
Kontexten zu lösen und sie zu einer Auseinandersetzung der »christlichen
Zivilisation« mit einer Gegenkultur fanatischer Muslime um den Einfluss
in Afrika zu stilisieren. Die konkreten politischen Implikationen sind im
Folgenden an dem hier untersuchten Beispiel – der Zerstörung der Mission
Pugu, der medialen Rahmung der Gewaltereignisse durch die Mission und
der politischen Instrumentalisierung als konkretem Anlass für eine huma-
nitäre Intervention, die im Ergebnis die deutsche Kolonisierung Ostafrikas
einläutete – herauszuarbeiten.
Humanitarismus, Antisklaverei-Kampf und christliche
Zivilisierungsmission als Grundlagen des modernen Kolonialismus
Der »Scramble for Africa« und die damit verbundenen Verhandlungen, Kon-
ferenzen und Kampagnen brachten eine neue Semantik in das Feld der inter-
nationalen Politik, diejenige des Humanitarismus, der Freiheit von Sklaverei,
die oft zusammengedacht wurde mit dem Kampf gegen lokale heidnische
oder muslimische Despoten und der christlichen Zivilisierungsmission. Diese
Semantik hatte legitimatorischen Charakter und entfaltete im europäischen
Kolonialdiskurs große Wirkung76. Missionen beiderlei Konfession wurden
in dieser Zeit zu Agenturen des Humanitarismus, indem sie den aufkläreri-
75 Vgl. Rebekka Habermas, Wissenstransfer und Mission. Sklavenhändler, Missionare
und Religionswissenschaftler, in: Geschichte und Gesellschaft 36 (2010), S. 257–284.
Den Einfluss missionarischer Islam-Kritik auf die Gründung der »modernen«
akademischen Orient- und Islamwissenschaften betonen Rebekka Habermas und
Roman Loimeier; siehe auch dies., Debates on Islam in Imperial Germany, in: David
Motadel (Hg.), Islam and the European Empires, Oxford 2014, S. 233–255; Roman
Loimeier, Edward Said und der deutschsprachige Orientalismus. Eine kritische
Würdigung, in: Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien
1 (2001),
S. 63–85.
76 Leopold
II. von Belgien nutzte die Antisklaverei-Rhetorik, um sein Agieren im Kongo
zu legitimieren, siehe Daniel Laqua, The Tensions of Internationalism: Transnational
Anti-Slavery in the 1880s and 1890s, in: The International History Review 33 (2011),
H. 4, S. 705–726, hier S. 711; und zur italienischen Antiklaverei-Organisation und
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918