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264 Richard Hölzl
lokalen Behörden statt, die den Handel mit Sklaven sogar besteuerten89. Die
Rolle religiöser Zuordnung des Kolonialismus in Ostafrika blieb umstrit-
ten90. Schließlich waren die unmittelbar Ausführenden kolonialer Gewalt,
die Soldaten der Kolonialtruppe, meist Muslime, die Befehlsgebenden deut-
sche Christen mit mehr oder weniger starker konfessioneller Bindung. Mit
der militärischen Eroberung breitete sich die katholische und protestantische
Missionstätigkeit flächendeckend in Ostafrika aus und stützte die koloniale
Herrschaft maßgeblich. Gleichzeitig begriffen die deutschen Kolonialver-
waltungen den Islam als Objekt kolonialer Herrschaft, das sie gegen heftige
Kritik der Missionen zu instrumentalisieren versuchten91. Ihren vorläufigen
Höhepunkt erreichte diese Strategie im Ersten Weltkrieg, als die Reichregie-
rung versuchte, Muslime weltweit zu agitieren und gegen die Kriegsgegner
zu mobilisieren92.
In diesem Beitrag habe ich die Zerstörung der katholischen Mission Pugu
im Sinne einer Mikrogeschichte des Globalen untersucht. Diese Geschichte
zeigt, wie ein in der komplexen Realität der entstehenden deutschen Kolo-
nie Ostafrika verortetes soziales Gewaltereignis zu einem in der kolonialen
Metropole diskursiv verhandelbaren medialen Gewaltereignis wurde. Von
der komplexen gesellschaftlichen Gemengelage, in die das Gewaltereignis
eingewoben war, blieben nach dieser Transformation fast ausschließlich reli-
giöse Motive bestehen. Die Transformation war Teil eines sich etablieren-
den Diskurses über koloniale Herrschaft, in dem humanitäre Interventio-
nen – verstanden als Teil einer globalen christlichen Zivilisierungsmission
und konkretisiert im Antisklaverei-Kampf – die Herrschaft über Gesell-
schaften in Afrika und Asien legitimierten. In den Veröffentlichungen der
Mission wurde der Cluster an Informationen über die Gewaltereignisse, der
über Briefe und Berichte von Augenzeugen nach Deutschland kam, in eine
einfache, stereotypisierende und emotionalisierende Erzählung umgearbei-
tet. In den Debatten über den Einmarsch des Deutschen Reiches in Ostaf-
89 Vgl. Deutsch, Emancipation without Abolition 2006, S. 97.
90 Wie auch in anderen deutschen Kolonien; siehe auch Sebastian Gottschalk, Kolo-
nialismus und Islam. Deutsche und britische Herrschaft in Westafrika (1900–1914),
Frankfurt a.M. 2017.
91 1908 kam es in der sogenannten Mekka-Brief-Affäre zu teils heftigen öffentlichen
Auseinandersetzungen zwischen protestantischen Missionsvertretern und Kolonial-
beamten. Als Konsequenz wurden muslimische Geistliche verfolgt, die in Verdacht
gerieten, einen gewaltsamen Umsturz in der deutschen Kolonie Ostafrika zu pla-
nen; siehe auch Michael Pesek, Islam und Politik in Deutsch-Ostafrika, in: Albert
Wirz u.a. (Hg.), Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tan-
sania (1850–1960), Köln 2003, S. 99–140.
92 Vgl. David Motadel, Islam and Nazi Germany’ s Wars, Cambridge MA u.a. 2014,
S.
15–27; Michael Pesek, Für Kaiser und Allah. Ostafrikas Muslime im Großen Krieg
für die Zivilisation, 1914–1919, in: Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft Mittle-
rer Osten und Islamische Kulturen 19 (2004), S. 9–18.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918