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315Katholiken
und Gewalt in Großbritannien
(insbesondere die Angehörigen protestantischer Freikirchen sowie Juden)
waren es die britischen Katholiken seit anderthalb Jahrhunderten gewohnt,
dem Staat gegenüber ihre Loyalität zu beweisen und ihre Ansprüche zu
untermauern, indem sie auf die Teilnahme von Katholiken an den britischen
Feldzügen in Übersee verwiesen7.
Zudem herrschte (jedenfalls außerhalb Irlands) die Überzeugung, dass
Katholiken einem Staatswesen, das sich gegenüber der katholischen Kirche
und deren Interessen seit 1829 sehr zuvorkommend gezeigt hatte, ihre Treue
erweisen sollten. Der Vergleich fiel gegenüber Deutschland, wo Bismarck
nach der Reichsgründung den Kulturkampf erklärt hatte, und Italien, wo der
Papst nunmehr als »Gefangener im Vatikan« galt, freilich günstig aus, wie
auch gegenüber Frankreich, wo die 1905 vollzogene Trennung von Kirche
und Staat tiefe Gräben hinterlassen hatte. In einer 1917 erschienenen Propa-
gandabroschüre unter dem Titel Catholics of the British Empire and the War
war dementsprechend zu lesen, die Katholiken Britanniens seien aus einem
kollektiven Bewusstsein von Dankbarkeit und Gegenseitigkeit dem Ruf zur
Fahne so begeistert gefolgt. In einer Anspielung auf die Enzyklika Rerum
Novarum (1891) hieß es außerdem, daran sei zu sehen, wie sehr die Laien
die katholische Soziallehre verinnerlicht hätten, insbesondere die Pflicht zur
Verteidigung ihres Vaterlands8.
In dieser wichtigen Broschüre, in welcher der von Kardinal Francis Bourne,
dem Erzbischof von Westminster, verkörperte »Imperial British Catholicism«
zum Ausdruck kam, spiegelten sich sowohl der Überschwang als auch die
Unsicherheit des britischen Katholizismus am Höhepunkt des Weltkriegs.
Tatsächlich waren die Schwierigkeiten, Spaltungen und Anschuldigungen,
mit denen sich die Katholiken im ganzen Empire auseinandersetzen muss-
ten, längst zutage getreten. Mochte die Kirche auch betonen, dass Katholiken
die Vaterlandsliebe sozusagen angeboren sei, gab es für ihre Kritiker – unter
ihnen patriotische und protestantische Eiferer
– doch genügend Beweise, dass
die Unterstützung der britischen Sache durch die Katholiken alles andere als
rückhaltlos war. Sie verwiesen dafür auf die Neutralität des Papstes, die Poli-
tik des irischen Nationalismus sowie die Ablehnung der Wehrpflicht unter
irischen, frankokanadischen und australischen Katholiken.
Zweifellos strapazierten solche Verdächtigungen die Einheit des Empire.
Der Anglo-Katholik Arnold Pinchard etwa sah sich bemüßigt, in einer The
Pope and the Conscience of Christendom (1915) betitelten Schrift Benedikt
XV.
7 Vgl. Robert K. Donovan, The Military Origins of the Roman Catholic Relief Pro-
gramme of 1778, in: Historical Journal 28 (1985), H. 1, S. 79–102.
8 Anonymus, Catholics of the British Empire, S. 4; Leo XIII., Rerum Novarum,
URL: <https://w2.vatican.va/content/leo-xiii/en/encyclicals/documents/hf_l-xiii_
enc_15051891_rerum-novarum.html> (23.11.2018).
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918