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322 Michael Snape
Die Geschichte des katholischen Einsatzes für den Krieg kennt kein Ende. Die Hir-
tenbriefe der Bischöfe tun es den Kreuzfahrerpredigten des heiligen Bernhard gleich;
hunderte Priester haben sich beeilt, die Truppen seelsorgerisch zu begleiten, und die
Laien haben ihr Blut mit einem Heldenmut vergossen, der in diesem ganz aus Helden
bestehenden Heer keinen Vergleich zu scheuen braucht 44.
Solchen Behauptungen ist immerhin zugute zu halten, dass zumindest auf
dem britischen Festland Katholiken unter den Kriegsfreiwilligen tatsächlich
überrepräsentiert gewesen zu sein scheinen. Auf einer Veranstaltung in Glas-
gow im April 1915 erklärte der nationalistische Parlamentsabgeordnete John
Dillon, es gebe »unter allen Gesellschaftsschichten keine, die für das neue
Heer so viel Rekruten gestellt [habe] wie die Iren in Großbritannien«45. Eine
Vorstellung der Größenordnung, von der hier die Rede ist, mögen die von
den einzelnen Diözesen veröffentlichten Statistiken geben, die – selbst wenn
ein gewisses Maß an Übertreibung vorausgesetzt wird – doch ein deutliches
Bild des katholischen Engagements für den Krieg zeichnen, gerade im Ver-
gleich zu gesamtgesellschaftlichen Tendenzen. Von den beinahe 5 Millionen
Rekruten, die während des Krieges zur britischen Armee gingen, meldete
sich gut die Hälfte bis Januar 1916 freiwillig. Aus amtlichen Statistiken geht
hervor, dass bis zum 11. November 1919 24 Prozent aller männlichen Briten
zum Heer gegangen waren, ob als Freiwillige oder Wehrpflichtige46. Allein
in der Diözese Salford scheinen sich jedoch schon bis Ende 1915 23 Prozent
der katholischen Männer freiwillig gemeldet zu haben47.
Neben der Aufforderung durch den Klerus und den Geboten der gemäßigt
irisch-nationalistischen Politik verdankte sich ein Erfolg dieser Art auch den
katholischen Grundschulen, die neben der Bewahrung konservativer gesell-
schaftlicher Werte sich über Generationen bemüht hatten, unter den Kindern
irischer Einwanderer ein Gefühl britischer (und speziell englischer) Identität
zu kultivieren48. Ein Schlüssel hierzu lag im mächtigen Kultus der engli-
schen Märtyrer, der sich auf die Hunderte von englischen Katholiken stützen
konnte, die seit der Reformation in den 1530er Jahren bis in die 1680er Jahre
hinein hingerichtet worden waren. Wie die Seligsprechung von 54 Märtyrern
im Jahre 1886 zeigt, hatten die zeitgenössischen Katholiken einen starken
Sinn für Geschichte und Martyrologium des englischen Katholizismus, an
44 Anonymus, Catholics of the British Empire, S. 8.
45 Elaine McFarland, »How the Irish Paid Their Debt«. Irish Catholics in Scotland
and Voluntary Enlistment, Scottish Historical Review 82 (2003), H. 2, S. 261–284,
hier S. 261.
46 Statistics of the Military Effort of the British Empire during the Great War, 1914–
1920, London 1922, S. 363.
47 Almanac of the Diocese of Salford, Salford 1916, S. 78–80.
48 Vgl. Mary J. Hickman, Religion, Class and Identity. The State, the Catholic Church
and the Education of the Irish in Britain, Aldershot 1995, S. 111–120, 173–181.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918