Page - 344 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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344 Eveline G. Bouwers
Fortführung von Gewalt im missionarischen Kontext einher10. Des Weiteren
waren auch Änderungen im katholischen Raum selbst dafür verantwortlich,
dass lokale Gewaltkulturen eher eingehegt als aufgeheizt wurden. Dazu zählt
die Privatisierung des religiösen Raums, die, ähnlich wie die Aufweichung
des Bündnisses von Thron und Altar, die Mobilisierung religiöser Gruppen
jenseits von Fragen der rituellen Praxis und Alltagskultur – man denke an
Prozessionen und den Religionsunterricht – bremste. Als letzter Punkt soll
die Gliederung des katholischen Raums in sozialpolitische Fraktionen, wie
Liberale, Legitimisten und Ultramontane, hervorgehoben werden; die von
der antiliberalen Politik vieler Päpste, besonders aber von Pius
IX., ungewollt
verursachte Pluralisierung des katholischen Lebens stand einer umfassenden
Mobilisierung aller Gläubigen zeitweise im Wege.
Insgesamt lässt sich also feststellen, dass Glaube und Gewalt auch in der
Neuesten Geschichte ein wirkmächtiges Begriffspaar bildeten. Zwar war ihr
Verhältnis anders gelagert als in der Frühen Neuzeit, doch griffen Gewalt-
akteure häufig auf vertraute Konfliktaustragungsformen zurück bzw. orien-
tierten sich an ihnen. Dabei stellte die Französische Revolution weniger eine
Zäsur als eine Übergangsphase dar, die noch bis weit ins 19. Jahrhundert hi-
neinwirkte. Nachdem bereits in den ersten Jahrzehnten die Weichen für ein
neues Beziehungsgeflecht von Glaube und Gewalt gestellt worden waren –
die Politik der Straße wurde stärker über Begriffe wie Recht und Freiheit
legitimiert, während eine sich über die politischen und sozialen Lager erstre-
ckende Presse eine Mobilisierung jenseits lokaler Räume begünstigte – kam
es ab den 1850er, vor allem ab Mitte der 1870er Jahre, zu einer Verdichtung
religionsbezogener Gewaltakte. Wichtig war dabei, dass die Gründe, wes-
halb Menschen zu Gewalt griffen, sowie die Strategien, die sie zu ihrer Legi-
timierung anwendeten, stark variierten
– was ein Grund ist, weshalb jegliche
theoretische Pauschalisierung über das Wesen der »religiösen Gewalt« nicht
befriedigen kann.
Glaubenskämpfe. Katholiken und Gewalt im 19.
Jahrhundert hat einige Er-
gebnisse vorgelegt, die hoffentlich sowohl für Historiker als auch für Sozial
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wissenschaftler von Interesse sein werden. Dennoch bleiben viele Fragen
unbeantwortet. Wenn die »verlängerte« Revolutionszeit als Übergangsphase
betrachtet werden soll, suggeriert dies, dass es so etwas wie eine »vormo-
derne« und eine »moderne« Form der religionsbezogenen Gewalt geben
würde. Das wiederrum leugnet nicht nur die Veränderungen im Verhältnis
von Glaube und Gewalt in der Frühen Neuzeit sowie die Rückschlüsse auf
die Zeit vor 1800 in den späteren Gewaltkulturen, sondern lässt auch die
10 Damit sei selbstverständlich nicht gesagt, dass Mission per se eine körperliche
Gewalttat beinhalten muss. Da allerdings Zwang oft zum missionarischen Wirken
gehörte, war physische Gewalt immer eine reale Möglichkeit.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Title
- Glaubenskämpfe
- Subtitle
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Editor
- Eveline Bouwers
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Size
- 15.9 x 23.7 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Categories
- Geschichte Vor 1918