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32 I. Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
des » Unzüchtigen « – aber auch der » Unzüchtigen « – tauchen in den Be-
fragungen von Zeuginnen und Zeugen ebenso auf wie in den Aussagen
der Beschuldigten 101, die sich gesellschaftlich dominante Sexualtheo-
rien in je unterschiedlicher Weise zu eigen machten oder dagegen an-
erzählten. Eingang in den rechtswissenschaftlichen Diskurs fanden die
in der Sexualwissenschaft und Psychiatrie vertretenen normativen Vor-
stellungen von Unzucht einerseits und den UnzĂĽchtigen andererseits
auch ĂĽber gerichtsmedizinische Gutachten, die im Strafprozess zur Be-
urteilung der Schuldfähigkeit vermeintlicher Täter und Täterinnen an-
gefordert wurden. Den Höhepunkt der in Unzuchtsverfahren zusam-
menlaufenden Verhandlungs- und Aushandlungsprozesse stellten die
öffentliche, mündliche Hauptverhandlung und das anschließende Ur-
teil dar, die im achten Kapitel dargestellt werden. In der Hauptverhand-
lung kulminierten spezifische Prozesslogiken des modernen Strafver-
fahrens mit Erwartungen und Interessen der Strafverfolgungsorgane,
der Beschuldigten und weiterer am Prozess in der einen oder anderen
Weise beteiligter Personen. Ihr Zusammentreffen vollzog sich nach fest-
gefügten Regeln, die den äußeren Rahmen, innerhalb dessen Aussagen
getroffen und Entscheidungen gefällt wurden, ebenso festlegten, wie
wann und in welcher Form etwas ĂĽberhaupt und von wem es gesagt
werden konnte. Nicht immer » endete « der strafrechtliche Fall mit dem
Urteil. Zwar war das Gericht an seinen einmal getätigten Urteilsspruch
nach dessen VerkĂĽndung gebunden, Angeklagte 102 und Staatsanwalt
hatten dagegen durch Ergreifen eines Rechtsmittels die Möglichkeit,
die erstinstanzliche Entscheidung durch eine höhere Instanz über-
prüfen zu lassen. Damit eröffnete sich ihnen eine – wenn auch durch
die verfahrensrechtlichen Vorschriften stark eingeschränkte – weitere
Sprechsituation, der sich das neunte Kapitel widmet. Den Abschluss der
Untersuchung stellen die Schlussbetrachtungen im zehnten Kapitel dar.
101 Während ganz allgemein unter den » Beschuldigten « alle verstanden wurden, de-
nen eine strafbare Handlung » im Wege des Gerichts « zur Last gelegt wurde, machte
im Sinne der Strafprozessordnung erst die Ăśberreichung der Anklageschrift bezie-
hungsweise der Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung oder Bestrafung im ver-
einfachten Verfahren aus der einer strafbaren Handlung verdächtigen Person eine
beschuldigte Person, vgl Lohsing Ernst, Ă–sterreichisches StrafprozeĂźrecht 3 ( 1932 ) 151.
102 Die Strafprozessordnung unterschied zwischen » Beschuldigten «, gegen die eine
Anklageschrift oder ein Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung vorlag und
» Angeklagten «, gegen die bereits eine Hauptverhandlung angeordnet war. Litera-
tur und Praxis verwendeten die Begriffe nicht immer trennscharf, vgl Lohsing Ernst,
StrafprozeĂźrecht 3 151.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik