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56 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Wien gegen die Sprachlehrerin Ida Edith Kadivec und zahlreiche wei-
tere Personen zugrunde. Kadivec, bei der anlässlich einer Hausdurch-
suchung » Peitschen, Ruten, Knuten, Stöcke und Stäbchen in allen Grö-
ßen und Formen, Bilder und Briefe sadistischen Inhaltes « vorgefunden
wurden, hatte nach dem vom Obersten Gerichtshof wiedergegebenen,
im erstgerichtlichen Urteil festgestellten Sachverhalt unter anderem
» an Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat-
ten, unter den im Urteile geschilderten besonderen Umständen
( Händeküssen, Aussuchen der Peitsche, Entblößen, Anziehen
der Strafhose, Bestimmung der Zahl der Schläge, Mitzählen,
Niederknien und Buße tun ) Auspeitschungen des Gesäßes
vor[ genommen ]. « 215
Derartige ZĂĽchtigungen, die auf eine widernatĂĽrliche Befriedigung des
Geschlechtstriebes gerichtet waren, seien als Unzuchtshandlungen an-
zusehen und geeignet, das Scham- und SittlichkeitsgefĂĽhl zu verletzen.
Der Fall Kadivec sorgte fĂĽr erhebliches Aufsehen in der Presse.216 Alt-
mann / Jacob stellten dazu fest, dass die Subsumtion der inkriminierten
Handlungen unter den Tatbestand der Schändung zwar » nicht ohne ei-
nen gewissen Zwang « geschah, jedoch dem Rechtsempfinden entspre-
che.217 Lammasch / Rittler vertraten nicht zuletzt unter Berufung auf diese
Entscheidung die Ansicht, dass bei der Schändung einer Person, die das
14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht einmal eine körperliche
Berührung zwischen Täter oder Täterin und Opfer nötig sei.218 Diese
Auffassung konnte sich allerdings nicht durchsetzen.219
215 E vom 13. Juni 1924, Os IV 160 / 24, SSt IV / 63.
216 Vgl zum Beispiel Reichspost Nr 61 vom 2. März 1924, 8 f; Neue Freie Presse Nr 21363
vom 2. März 1924, 1; Die Neue Zeitung Nr 61 vom 2. März 1924, 3; vgl dazu Bei Neda,
Die sozial unschädliche Verbrecherin: Frauen und der § 129 I b StG, in Förster Wolf-
gang / Natter Tobias G. / Rieder Ines ( hg ), Der andere Blick. Lesbischwules Leben in
Ă–sterreich ( 2001 ) 163 ( 165 ff ).
217 Vgl Altmann Ludwig / Jacob Siegfried, Kommentar 338.
218 Vgl Lammasch Heinrich / Rittler Theodor, Grundriß des österreichischen Strafrechts 5
( 1926 ) 368. Die zweite zur Untermauerung dieser Ansicht angefĂĽhrte Entscheidung
des Obersten Gerichtshofs ( OGH 1052 ) bezog sich allerdings nicht auf § 128 StG
1852, sondern auf die Frage, ob die Verleitung zur Beihilfe bei der Selbstbefleckung
den Tatbestand der Unzucht wider die Natur erfĂĽllt. Vgl dazu auch Altmann Lud-
wig / Jacob Siegfried, Kommentar 337 Fn 1.
219 Anders Stooss Carl, Lehrbuch 2 322; Finger August, Das Strafrecht mit BerĂĽcksichti-
gung des Entwurfes zu einem Strafgesetzbuch II 3 ( 1914 ) 753; Altmann Ludwig / Jacob
Siegfried, Kommentar 337.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik