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62 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Person desselben Geschlechts würden hingegen das Verbrechen der Un-
zucht wider die Natur nicht erfüllen.238 Nach Finger musste weder im
Falle des § 129 I a StG 1852 noch im Fall der lit b ein beischlafähnlicher
Akt vorliegen. Er zählte zur widernatürlichen Unzucht neben der Päd-
erastie und der » lesbischen Liebe « auch die wechselseitige Onanie.239
Janka bejahte dagegen ganz allgemein eine Beschränkung auf beischlaf-
ähnliche Akte, ohne allerdings seine Ansicht näher zu begründen.240 Zu-
rückhaltender führte Lammasch aus, dass » der Thatbestand [ … ] seiner
geschichtlichen Entwicklung nach wohl auf beischlafähnliche Hand-
lungen beschränkt « sei.241
In der Gerichtsmedizin begann die Annahme, der Unzuchtsverkehr
würde stets im Analverkehr bestehen und nachweisbare, untrügliche
Spuren am Körper hinterlassen, brüchig zu werden.242 Adolf Schauen-
stein, Professor für Staatsarzneikunde an der Universität Graz, widmete
sich im Hinblick auf die Unzucht wider die Natur zwischen männlichen
Personen ausschließlich der Päderastie. Körperliche Anzeichen dersel-
ben am aktiven Teil hielt er jedoch im Unterschied zu früheren Auffas-
sungen für nicht auffindbar; auch am passiven Teil würden sie sich nur
schwer nachweisen lassen.243 Gleichgeschlechtliche Unzucht zwischen
Frauen hingegen beschränke sich meist auf » masturbatorische Reizun-
gen «, wenngleich auch die Verwendung künstlicher Hilfsmittel oder die
Befriedigung durch eine ungewöhnlich lange Klitoris nicht unbekannt
seien. Derartige Fälle kämen jedoch gewöhnlich nur dann zur Kennt-
nis des Gerichts, wenn ein Kind verführt werde: » Unzucht zwischen
238 Vgl Winkler Maximilian, JBl 1901, 49.
239 Vgl Finger August, Strafrecht II 359.
240 Vgl Janka Karl, Strafrecht 327.
241 Vgl Lammasch Heinrich, Grundriß 77.
242 Schon 1857 hatte etwa der deutsche Pharmakologe Krahmer festgestellt, dass die
» auf eigene klinische Beobachtung und Erfahrung begründeten Urtheile [ sic ! ]
über die Unsicherheit des gerichtsärztlichen Beweises erlittener Päderastie « sich
bestätigt hätten, Krahmer Ludwig, Handbuch der gerichtlichen Medizin. Für Aerzte
und Juristen 2 ( 1857 ) 296. Der Mediziner Plaseller hatte dagegen Caspers Aufsatz
über Notzucht und Päderastie sowie die darin genannten Kennzeichen für unzüch-
tigen Verkehr noch lobend erwähnt, vgl Plaseller Josef, Gerichtlich-medizinische
Memoranda aus dem k.k. österreichischen Strafgesetze. Zum Gebrauche für das
Sanitäts- und Gerichtspersonale ( 1854 ) 191.
243 Vgl Schauenstein Adolf, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin. Mit besonderer Be-
rücksichtigung der Gesetzgebung Österreichs und deren Vergleichung mit den
Gesetzgebungen Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens und Russlands 2
( 1875 ) 157 ( 160 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik