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116 III. Das Recht zu sĂĽndigen
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
der die Brüder Karl und August P. angezeigt hatte, sie hätten ihn in
die elterliche Wohnung eingeladen, wo Karl P. ihn zum Analverkehr
gezwungen habe.470 Das Gutachten ĂĽber Franz A. kam zu dem Schluss,
dass es » durchaus nicht sicher [ wäre ], dass sich die Ereignisse so abge-
spielt haben, wie er angegeben hat, auch wenn er sie nicht später wider-
rufen bezw. stark abgeschwächt hätte. « 471 Die Voruntersuchung wurde
gem § 109 StPO 1873 eingestellt und die Entmündigung des Franz A. be-
antragt. Nur im Fall des 56-jährigen Oberbaurats i.R. Gustav K. wurde
neben einer homosexuellen Veranlagung auch eine latente Geistes-
krankheit festgestellt, weshalb der Sachverständige nicht nur eine vo-
rĂĽbergehende SinnesverrĂĽckung zum Zeitpunkt der Tathandlung gem
§ 2 lit b StG 1852 als gegeben erachtete, sondern darüber hinaus eine
dauernde Sicherheitsverwahrung empfahl.472 Die konträre Sexualemp-
findung allein wirkte sich dagegen in der Rechtsprechung des Landes-
gerichtes Linz, entsprechend den höchstgerichtlichen Feststellungen,
nie schuldausschlieĂźend oder entschuldigend, sondern allenfalls straf-
mildernd aus.
Dass die Medikalisierung der konträren Sexualempfindung und die
psychiatrische Begutachtung eine Nische eröffneten, um der strafrecht-
lichen Sanktionierung gleichgeschlechtlicher Sexualakte durch die An-
nahme eines Schuld- oder StrafausschlieĂźungsgrundes zu entgehen,473
trifft für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit analysierten Fälle nicht
zu. Ebenso wenig agierten die Gerichtspsychiater als » Vollstreckungs-
gehilfen der Staatsanwaltschaft «.474 In den meisten Fällen traten sie
470 In beiden Fällen wurde die Verwirklichung des § 2 lit a StG 1852 angenommen.
471 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 469, 8d Vr 60 / 36, Psychiatrischer Befund und Gutachten
vom 3. Februar 1936.
472 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 490, 8d Vr 2193 / 36, Psychiatrischer Befund und Gutach-
ten ( undatiert ). Die Anordnung der Abgabe eines oder einer wegen Geisteskrank-
heit freigesprochenen Beschuldigten in eine Nervenheilanstalt oblag allerdings
nicht den Strafgerichten, sondern war Sache der Verwaltungsbehörden, vgl Ver-
ordnung des Justizministeriums vom 6. August 1902, betreffend die Behandlung
geisteskranker Häftlinge, JMVBl 1902 / 37.
473 Dies stellten für Deutschland Hutter Jörg in Lautmann Rüdiger ( hg ), Homosexuali-
tät 50 f sowie insb Hutter Jörg, Kontrolle 113 und Lücke Martin, Männlichkeit 72 fest.
Das » Entgehen « bestand allerdings häufig in einer Einweisung in eine forensisch-
psychiatrische Anstalt, die soziale Kontrolle gleichgeschlechtlichen Begehrens ver-
lagerte sich damit lediglich auf eine andere Ebene.
474 So der Befund bei Mildenberger Florian, … in Richtung der Homosexualität ver-
dorben. Psychiater, Kriminalpsychologen und Gerichtsmediziner über männliche
Homosexualität 1850–1970 ( 2002 ) 274.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik