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130 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
selbst und die Art der Ausführung desselben es sind, welche die Ge-
setzgebung zur Strafandrohung veranlassen « 507. Diese würden vor al-
lem dem Schutz der persönlichen Freiheit sowie der Verhinderung von
Handlungen dienen, die » wegen ihrer Widernatürlichkeit « eine Gefahr
für die körperliche und geistige Gesundheit darstellen. Daneben exis-
tiere eine zweite Klasse von strafgesetzlichen Verboten, die aufgrund
eines besonderen Verpflichtungsverhältnisses oder im Interesse der
öffentlichen Sittlichkeit zur Hintanhaltung weiterer Unsittlichkeiten
notwendig seien. Im Hinblick auf die letztgenannte Gruppe sei in den
europäischen Gesetzgebungen die Tendenz festzustellen, den Kreis der
Verbote zunehmend enger zu ziehen. Das Augenmerk richte sich nur
mehr darauf, dass die öffentliche Sittlichkeit nicht verletzt werde. Die-
ser Entwicklung verschließe sich auch der österreichische Gesetzgeber
nicht.508 Es sei nicht einzusehen,
» warum gerade die im §. 129 dieses Gesetzes [ StG 1852 ] hervorge-
hobenen Unzuchtsacte insbesondere als Verbrechen mit Strafe
bedroht werden sollten, betrachte man dieselben nun nach ihrer
Beschaffenheit als unzüchtige, oder nach ihrer allgemeinen Be-
schaffenheit als gesundheitsschädliche Handlungen. « 509
Auch außerhalb des § 129 StG 1852 seien widernatürliche Arten der
geschlechtlichen Befriedigung denkbar, ja sogar zwischen Personen
verschiedenen Geschlechts könnten sich solche ereignen, ohne straf-
rechtlich verpönt zu sein. Solange derartige Akte in beiderseitigem Ein-
vernehmen und nicht öffentlich stattfanden, liege daher kein Grund vor,
die Unzucht wider die Natur noch länger unter Strafe zu stellen, da die
Rechte anderer nicht verletzt würden.
Schließlich » [ muß ] es jedem überlassen bleiben [ . ], es vor sich
selbst zu verantworten, wenn er sich – ohne Scandal für andere zu erre-
gen – gewissen Unsittlichkeiten hingibt, oder wenn er seine Gesundheit
durch unzüchtige Handlungen untergräbt. « 510
Auch die geringe Anzahl von Fällen, die überhaupt zur Kenntnis der
Strafgerichte gelangten, spräche für die Beseitigung der Strafdrohung.511
507 Motive 109.
508 Vgl Motive 109 f.
509 Motive 110.
510 Motive 110.
511 Die Übersicht über Ergebnisse der Strafrechtspflege zählte die Unzucht schon für
das Strafgesetz 1803 zu den relativ selten verfolgten Delikten. Notzucht und andere
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik