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Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Frage sei vielmehr die Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht,
die, so Mittermaier, bei Männern wie bei Frauen weit verbreitet sei und
in unterschiedlichsten Formen » von der gegenseitigen Onanie ohne
Beischlafähnlichkeit bis zu Handlungen, die völlig Beischlafcharakter
haben « 617 zu Tage trete. Mittermaier vertrat die Ansicht, dass die Bei-
schlafähnlichkeit keine Bedingung der Strafbarkeit sein könne, wenn
man die Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht unter Frauen
weiterhin aufrechterhalten wolle. Damit traf er sich mit der Rechtspre-
chung des Obersten Gerichtshofs, dessen weit gefasste Interpretation
des § 129 I b StG Mittermaier gewissermaßen bestätigte. Eine Beschrän-
kung der Strafbarkeit auf beischlafähnliche Akte hielt er auch deswe-
gen für verfehlt, weil die Gefährlichkeit gleichgeschlechtlicher Prakti-
ken keineswegs in ihrer Beischlafähnlichkeit liege: Nur die » wirklich
in sich gefährlichen verführenden Handlungen, ferner alle durch Ge-
walt, Täuschung oder Autoritätsmißbrauch qualifizierten Akte und end-
lich die homosexuelle Prostitution « 618 sollten pönalisiert werden. Dies
reiche aus, » um die widernatürliche Unzucht als etwas Unsittliches zu
brandmarken « 619. Eine generelle Strafbarkeit einverständlicher gleich-
geschlechtlicher Akte unter Erwachsenen erachtete Mittermaier fĂĽr un-
geeignet, die Verbreitung der Homosexualität zu verhindern und darü-
ber hinaus auch für ungerecht, da sie häufig eine » rein bedauernswerte
Naturabnormität « 620 treffe.
Mittermaiers Eintreten fĂĽr eine Aufhebung der Strafbarkeit der
gleichgeschlechtlichen Unzucht hatte seinen Grund nicht in einer Be-
fürwortung der Homosexualität. Er war vielmehr zu der Überzeugung
gelangt, dass » der Wert dieser Hemmung [ durch die Strafdrohung ] recht
gering [ ist ], während eine freie moralische Bekämpfung eine mindes-
tens gleiche Bedeutung haben kann. « 621 Gegen diese Auffassung wandte
sich Fritsch in seiner Darstellung der ärztlichen Seite der Frage der Ho-
mosexualität. Er bedauerte es, dass die Geltendmachung » unwidersteh-
lichen Zwanges « in Fällen gleichgeschlechtlicher Unzucht an der juristi-
schen Interpretation dieses Begriffs scheiterte,622 befĂĽrchtete aber, dass
617 Mittermaier Wolfgang in Vorträge 238.
618 Mittermaier Wolfgang in Vorträge 241.
619 Mittermaier Wolfgang in Vorträge 241.
620 Mittermaier Wolfgang in Vorträge 241.
621 Mittermaier Wolfgang in Vorträge 242.
622 Siehe dazu Kapitel III.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik