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164 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Entwurf ebenso wenig Eingang gefunden, wie in die österreichischen
Entwürfe der Vorkriegszeit. Unter den Vertretern einer liberalen Straf-
rechtsreform stieß der Entwurf folglich auch vorwiegend auf Kritik.
Schon der Umstand, dass der Entwurf weiterhin von » Sittlichkeitsdelik-
ten « sprach, ließ nach Dehnow erkennen, dass sowohl die Fortschritte auf
sexualwissenschaftlichem Gebiet, als auch jene im Bereich der sexuellen
Ethik ignoriert würden.674 Die Behandlung der Sexualdelikte im Entwurf
sei getragen vom » Geist der Missachtung und Knechtung des Sexualle-
bens, [ vom ] Geist der Naturfremdheit und der Naturwissenschaftsfremd-
heit « 675. Die Begründung, die die Denkschrift für die Beibehaltung der
Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht unter Männern anführe,
sei gänzlich unzureichend. Es handle sich dabei um ungeprüfte Floskeln,
während man verabsäumt habe, darauf einzugehen,
» ob das inkriminierte Verhalten schädigend wirkt, noch darauf,
inwieweit dem Einzelnen ein Recht über sich selbst zugestanden
werden muß, noch darauf, inwieweit von dem Homosexuellen
Abstinenz verlangt werden kann; weder auf die Schwierigkeit der
Feststellung, ob eine psychische Zwangshandlung vorliegt, noch
auf die unbefriedigende Abgrenzung strafbarer und strafloser
Tatbestandshandlungen, noch auf das Erpressertum. « 676
Es fehle jeglicher Nachweis, dass durch die Strafvorschrift positive
Werte erreicht würden. Auch das von der Denkschrift zitierte » Volks-
empfinden « hielt Dehnow in Wahrheit für ein anderes und toleranter als
die Verfasser des Entwurfes. Zwar lehne ein Großteil der » Normalemp-
findenden « den gleichgeschlechtlichen Verkehr ab, für eine Strafbarkeit
desselben würden sie aber nicht eintreten. Mit großer Selbstverständ-
lichkeit verband Dehnow » Forderungen nach sexueller Liberalität « mit
solchen » nach rationeller Eugenik «: 677 Der Homosexualität sei » durch
prophylaktisch-eugenische und durch therapeutische Maßnahmen « 678
zu begegnen, nicht aber durch eine Strafdrohung. Dehnow plädierte für
die Beseitigung der Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht
674 Kritisch zu Dehnow, insbesondere zu den von ihm vertretenen bevölkerungspoli-
tisch-eugenischen Ansichten vgl Kerchner Brigitte in Hardtwig Wolfgang ( hg ), Kul-
turgeschichte 267 f.
675 Dehnow Fritz, Sittlichkeitsdelikte und Strafrechtsreform ( 1922 ) 6.
676 Dehnow Fritz, Sittlichkeitsdelikte 10.
677 Vgl dazu Kerchner Brigitte in Hardtwig Wolfgang ( hg ), Kulturgeschichte 267.
678 Dehnow Fritz, Sittlichkeitsdelikte 12.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik