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178 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Arbeitsverhältnis beruhenden Abhängigkeit, desgleichen die gewerbs-
mäßige Unzucht und die Verführung männlicher Jugendlicher durch
einen Erwachsenen. Schwere Unzucht war mit Gefängnis nicht unter
sechs Monaten zu bestrafen, in besonders schweren Fällen erhöhte sich
die Strafe auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Bei gewaltsamer Nötigung
oder Nötigung durch Drohung war auch der Versuch strafbar.
Die Erläuterungen zur österreichischen Regierungsvorlage, die
Kadečka gemeinsam mit dem Entwurf veröffentlichte,730 deckten sich im
Wesentlichen mit denen zum Amtlichen Entwurf 1925. In Anlehnung an
das deutsche Strafgesetz und die meisten ausländischen Gesetzgebungen
lieĂź man die Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht zwischen
Frauen fallen.731 Die Strafbarkeit der einfachen gleichgeschlechtlichen
Unzucht zwischen Männern erfuhr gegenüber der geltenden Rechtslage,
wie sie sich seit der Jahrhundertwende in der Rechtsprechung des Obers-
ten Gerichtshofs darstellte, eine geringfügige Einschränkung: Die Regie-
rungsvorlage bedrohte nicht jede Handlung mit Strafe, die mit BenĂĽt-
zung des Körpers einer gleichgeschlechtlichen Person zur Befriedigung
der Geschlechtslust vorgenommen wurde, sondern nur die Vornahme
oder Duldung » beischlafähnlicher Handlungen «. Die Tat selbst wurde
nicht als Verbrechen, sondern nur mehr als Vergehen eingestuft. DafĂĽr
wurde die Strafdrohung mit einer Mindeststrafe von einer Woche und
einer Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis ( § 35 ) im Vergleich zu frü-
heren EntwĂĽrfen wieder angehoben. Bei der schweren Unzucht entfiel
die Einschränkung auf beischlafähnliche Handlungen. Der Tatbestand
konnte hier durch jede unzĂĽchtige Handlung erfĂĽllt werden.732
Bereits anlässlich der Generaldebatte über den Strafgesetzentwurf
im Herbst 1927 im Sonderausschuss des österreichischen Nationalrates
zeigte sich, dass die Beibehaltung der §§ 296, 297 des Entwurfs nicht von
allen Parteien begrĂĽĂźt wurde. Die sozialdemokratischen Abgeordneten
Karl Leuthner und Arnold Eisler sprachen sich gegen die Kriminalisierung
der gleichgeschlechtlichen Unzucht aus. Leuthner schien » das Heraus-
greifen bestimmter, noch dazu schwer nachweisbarer Formen als straf-
bar unverständlich. « 733 Dem öffentlichen Interesse sei mit dem Schutz
730 Kadečka Ferdinand, Der österreichische Strafgesetzentwurf vom Jahre 1927 mit Er-
läuterungen aus der Begründung und Anmerkungen ( 1927 ).
731 Zu 49 BlgStenProtNR 5. Session 3. GP 219.
732 Vgl Zu 49 BlgStenProtNR 5. Session 3. GP 220.
733 Sonderausschuss zur Beratung des Strafgesetzentwurfes. 3. Sitzung ( Generalde-
batte ). Wien, am 29. September 1927, Parlamentsarchiv Wien.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik