Page - 211 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Image of the Page - 211 -
Text of the Page - 211 -
211
Das österreichische Strafverfahrensrecht in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif ⹠Verkehrte Leidenschaft ¶
und ein vereinfachtes Verfahren in Verbrechens- und VergehensfÀllen
in erster Instanz vor dem Einzelrichter ermöglicht.866 Das vereinfachte
Verfahren vor dem Einzelrichter war ursprĂŒnglich lediglich als Proviso-
rium gedacht, das den Ăbergang zu normalen VerhĂ€ltnissen erleichtern
und mit Ablauf des Jahres 1921 auĂer Kraft treten sollte.867 TatsĂ€chlich
wurde seine Geltungsdauer allerdings mehrfach verlÀngert und lief erst
1926 aus.868
Die ZulÀssigkeit des vereinfachten Verfahrens beschrÀnkte sich
auf jene Verbrechen und Vergehen, die nicht in die ZustÀndigkeit der
Schwurgerichte fielen. War aufgrund der UmstÀnde des Falles anzu-
nehmen, dass die zu verhÀngende Strafe nicht strenger als eine Geld-
strafe oder eine Freiheitsstrafe von ursprĂŒnglich höchstens einem Jahr,
spĂ€ter höchstens sechs Monaten 869 sein wĂŒrde,870 konnte der Staatsan-
walt gem § 495 StPO 1873 idF der StrafprozeĂnovelle 1918 die Bestrafung
im vereinfachten Verfahren beantragen. Sowohl der Einzelrichter als
auch das Berufungsgericht waren im vereinfachten Verfahren an dieses
866 Vgl Steininger Einhard in Weinzierl Erika / Ardelt Rudolf ( hg ), Justiz VII 60.
867 Vgl Löffler Alexander, Die StrafprozeĂnovelle vom Jahre 1918 ( 1919 ) 2.
868 Durch das Bundesgesetz vom 20. Oktober 1921, betreffend die VerlÀngerung der
Geltungsdauer der Vorschriften ĂŒber das vereinfachte Verfahren ( StrafprozeĂno-
velle vom Jahre 1921 ), BGBl 1921 / 580; das Bundesgesetz vom 27. November 1922
ĂŒber die zur Aufrichtung der Staats- und Volkswirtschaft der Republik Ăsterreich
zu treffenden MaĂnahmen ( Wiederaufbaugesetz ), BGBl 1922 / 843, iVm der Verord-
nung der Bundesregierung vom 14. Dezember 1922, betreffend die VerlÀngerung
der Geltungsdauer der Vorschriften ĂŒber das vereinfachte Verfahren in Verbre-
chens- und VergehensfÀllen, BGBl 1922 / 916, und das Bundesgesetz vom 20. Dezem-
ber 1924, betreffend die VerlĂ€ngerung der Geltungsdauer der Vorschriften ĂŒber das
vereinfachte Verfahren in Verbrechens- und VergehensfÀllen ( Strafprozessnovelle
vom Jahre 1924 ), BGBl 1924 / 459. Die StrafprozeĂnovelle 1918 hatte als weitere Ver-
einfachungen die EinschrÀnkung des LegalitÀtsprinzips, die Verminderung der
Schreibarbeiten im Ăbertretungsverfahren sowie die Erweiterung des Mandats-
verfahrens vorgesehen. Diese waren im Unterschied zum vereinfachten Verfahren
vor dem Einzelrichter als dauernde Einrichtungen gedacht. Vgl dazu sowie im
Detail zu den jeweiligen Bestimmungen Löffler Alexander, StrafprozeĂnovelle 3 ff.
Die Regierungsvorlage ( 577 BlgStenProtNR II. GP ), mit der das Gesetz ĂŒber das
vereinfachte Verfahren in Verbrechens- und VergehensfÀllen bis zum Ende des
Jahres 1931 verlÀngert werden sollte, wurde vom Nationalrat nicht verabschiedet,
vgl LiĂbauer Karl, Die strafrechtliche Gesetzgebung Ăsterreichs seit dem Jahre 1925,
ZStW 1930, 716 ( 726 ).
869 Die StrafprozeĂnovelle 1924 senkte die höchste zu erwartende beziehungsweise
zulÀssige Freiheitsstrafe auf sechs Monate ( Art I Z 1 ).
870 Nebenstrafen, insbesondere Geldstrafen als Nebenstrafen, waren dabei nicht in
Betracht zu ziehen ( § 495 StPO 1873 idF der Strafprozessnovelle 1918 ).
back to the
book Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 â 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik