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Das österreichische Strafverfahrensrecht in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
und ein vereinfachtes Verfahren in Verbrechens- und Vergehensfällen
in erster Instanz vor dem Einzelrichter ermöglicht.866 Das vereinfachte
Verfahren vor dem Einzelrichter war ursprünglich lediglich als Proviso-
rium gedacht, das den Übergang zu normalen Verhältnissen erleichtern
und mit Ablauf des Jahres 1921 außer Kraft treten sollte.867 Tatsächlich
wurde seine Geltungsdauer allerdings mehrfach verlängert und lief erst
1926 aus.868
Die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens beschränkte sich
auf jene Verbrechen und Vergehen, die nicht in die Zuständigkeit der
Schwurgerichte fielen. War aufgrund der Umstände des Falles anzu-
nehmen, dass die zu verhängende Strafe nicht strenger als eine Geld-
strafe oder eine Freiheitsstrafe von ursprünglich höchstens einem Jahr,
später höchstens sechs Monaten 869 sein würde,870 konnte der Staatsan-
walt gem § 495 StPO 1873 idF der Strafprozeßnovelle 1918 die Bestrafung
im vereinfachten Verfahren beantragen. Sowohl der Einzelrichter als
auch das Berufungsgericht waren im vereinfachten Verfahren an dieses
866 Vgl Steininger Einhard in Weinzierl Erika / Ardelt Rudolf ( hg ), Justiz VII 60.
867 Vgl Löffler Alexander, Die Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918 ( 1919 ) 2.
868 Durch das Bundesgesetz vom 20. Oktober 1921, betreffend die Verlängerung der
Geltungsdauer der Vorschriften über das vereinfachte Verfahren ( Strafprozeßno-
velle vom Jahre 1921 ), BGBl 1921 / 580; das Bundesgesetz vom 27. November 1922
über die zur Aufrichtung der Staats- und Volkswirtschaft der Republik Österreich
zu treffenden Maßnahmen ( Wiederaufbaugesetz ), BGBl 1922 / 843, iVm der Verord-
nung der Bundesregierung vom 14. Dezember 1922, betreffend die Verlängerung
der Geltungsdauer der Vorschriften über das vereinfachte Verfahren in Verbre-
chens- und Vergehensfällen, BGBl 1922 / 916, und das Bundesgesetz vom 20. Dezem-
ber 1924, betreffend die Verlängerung der Geltungsdauer der Vorschriften über das
vereinfachte Verfahren in Verbrechens- und Vergehensfällen ( Strafprozessnovelle
vom Jahre 1924 ), BGBl 1924 / 459. Die Strafprozeßnovelle 1918 hatte als weitere Ver-
einfachungen die Einschränkung des Legalitätsprinzips, die Verminderung der
Schreibarbeiten im Übertretungsverfahren sowie die Erweiterung des Mandats-
verfahrens vorgesehen. Diese waren im Unterschied zum vereinfachten Verfahren
vor dem Einzelrichter als dauernde Einrichtungen gedacht. Vgl dazu sowie im
Detail zu den jeweiligen Bestimmungen Löffler Alexander, Strafprozeßnovelle 3 ff.
Die Regierungsvorlage ( 577 BlgStenProtNR II. GP ), mit der das Gesetz über das
vereinfachte Verfahren in Verbrechens- und Vergehensfällen bis zum Ende des
Jahres 1931 verlängert werden sollte, wurde vom Nationalrat nicht verabschiedet,
vgl Lißbauer Karl, Die strafrechtliche Gesetzgebung Österreichs seit dem Jahre 1925,
ZStW 1930, 716 ( 726 ).
869 Die Strafprozeßnovelle 1924 senkte die höchste zu erwartende beziehungsweise
zulässige Freiheitsstrafe auf sechs Monate ( Art I Z 1 ).
870 Nebenstrafen, insbesondere Geldstrafen als Nebenstrafen, waren dabei nicht in
Betracht zu ziehen ( § 495 StPO 1873 idF der Strafprozessnovelle 1918 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik