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Das österreichische Strafverfahrensrecht in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
ordentliche Rechtsmittel ( § 501 StPO 1873 idF der Strafprozeßnovelle
1918 ).876 Ăśber die Berufung entschied der Gerichtshof erster Instanz in
einem Senat aus vier Richtern, dem entweder der Präsident, oder der
Vizepräsident oder eines der rangältesten Mitglieder des Gerichtshofs
anzugehören hatten.877
Das vereinfachte Verfahren bedeutete in der Praxis vor allem eine
Entlastung der Untersuchungsrichter. Viele Anträge auf Bestrafung im
vereinfachten Verfahren wurden von den Staatsanwälten unmittelbar
gestellt, Vorerhebungen durch den Untersuchungsrichter sowie Vorun-
tersuchungen entfielen, das Schwergewicht des Verfahrens lag in der
Hauptverhandlung.878 Dies spiegelt sich auch in den erhaltenen Akten
des Landesgerichtes Linz wieder, deren Umfang im Regelfall deutlich
geringer ist, wenn im vereinfachten Verfahren verhandelt wurde. Die
verhängten Strafen bewegten sich weit unterhalb der zulässigen Grenze
von einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei 55 von 58 Beschuldigten,879 die bis
Jahresende 1926 im vereinfachten Verfahren verurteilt wurden, wurde
vom außerordentlichen Milderungsrecht nach § 54 StG 1852 Gebrauch
gemacht und eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten verhängt.880
876 AusfĂĽhrlich dazu Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 340 ff; Lohsing Ernst, Ă–ster-
reichisches Strafprozessrecht in systematischer Darstellung 2 ( 1920 ) 666 ff. FĂĽr den
Fall des Ausbleibens des oder der Angeklagten von der Hauptverhandlung sah
§ 503 StPO idF der Strafprozeßnovelle 1918 auch im einzelrichterlichen Verfahren
die Anwendung der Vorschriften der §§ 427, 428 StPO 1873 und somit die Möglich-
keit eines Einspruchs gegen ein in Abwesenheit gefälltes Urteil vor.
877 Vgl Steininger Einhard in Weinzierl Erika / Ardelt Rudolf ( hg ), Justiz VII 61 f.
878 Vgl LiĂźbauer Karl, ZStW 1930, 729.
879 Im Fall von Gustav K. ist lediglich das Urteil des Landesgerichtes Linz erhalten, mit
dem die gegen das Urteil des Einzelrichters erhobene Berufung zurĂĽckgewiesen
wird. Daraus lässt sich zwar schließen, dass Gustav K. im vereinfachten Verfahren
vor dem Einzelrichter verurteilt wurde, das verhängte Strafmaß ist jedoch nicht
ersichtlich. Siehe OĂ–LA, BG / LG Linz, Sch 301, Vr II E 1042 / 23, Berufungsurteil des
Landesgerichtes Linz vom 17. Dezember 1923.
880 § 54 StG 1852 lautete: » Bei Verbrechen, für welche die Strafzeit nicht über fünf Jahre
bestimmt ist, kann sowohl der Kerker in einen gelinderen Grad verändert, als
die gesetzliche Dauer selbst unter sechs Monate verkĂĽrzt werden, in dem Falle,
daß mehrere und zwar solche Milderungsumstände zusammentreffen, welche mit
Grund die Besserung des Verbrechers erwarten lassen. «
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik