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226 V. Das Verfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
raum vier Mal Gebrauch gemacht und eine Einweisung in die Bundes-
anstalt fĂĽr ErziehungsbedĂĽrftige in Kaiserebersdorf ausgesprochen.936
Einem besonderen Risiko der Einweisung waren jene jugendlichen
Rechtsbrecher ausgesetzt, die ohne Vater 937 oder aber mit einem Vater
aufwuchsen, der den gängigen Erwartungen an männliche Autorität
nicht entsprach.938
War gegen eine jugendliche Person auf eine längere Freiheitsstrafe
zu erkennen, so erlaubte § 12 Abs 1 JGG 1928 eine unbestimmte Verur-
teilung: Innerhalb eines zu bestimmenden Mindest- und Höchstmaßes
hatte die Strafe so lange zu dauern, bis der Strafzweck – die Erziehung
der jugendlichen Gefangenen » zu Selbstbeherrschung, Arbeitsamkeit
und gesetzmäßigem Verhalten « ( § 46 Abs 1 JGG 1928 ) – erreicht war.
Eine geringe Geld- oder Freiheitsstrafe konnte durch die Ăśberweisung
in die häusliche Zucht gem § 12 Abs 2 JGG 1928 ersetzt werden. In be-
sonders leichten Fällen kam die Erteilung einer Ermahnung durch das
Gericht in Betracht. Konnten der Ausspruch und die Vollstreckung der
über einen Jugendlichen oder eine Jugendliche zu verhängenden Geld-
oder Freiheitsstrafe ohne Nachteil fĂĽr die Rechtsordnung sowie fĂĽr ihn
oder sie selbst unterbleiben, hatte das Gericht gem § 13 JGG 1928 den
Ausspruch über die Strafe vorläufig für eine von ihm zu bestimmende
Probezeit von einem bis zu fĂĽnf Jahren aufzuschieben. Bei 23 von ins-
gesamt 53 Beschuldigten, ĂĽber die beim Landesgericht Linz wegen
gleichgeschlechtlicher Unzucht vor dem Jugendsenat verhandelt wurde,
wurde von der Möglichkeit nach § 13 JGG 1928 Gebrauch gemacht und
unterblieb der Ausspruch über die Strafe. In 21 Fällen wurde dabei eine
Probezeit von nicht mehr als drei Jahren ausgesprochen, lediglich in
zwei Fällen betrug die Probezeit fünf Jahre: Bei der oben erwähnten
936 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 346, 13 Vr 1117 / 29, Beschluss vom 25. Oktober 1930; OĂ–LA,
BG / LG Linz Sch 350, 13 Vr 1639 / 29, Beschluss vom 14. Dezember 1930; OĂ–LA, BG / LG
Linz Sch 370, 9 Vr 316 / 31, Beschluss vom 10. Juli 1931; OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 389, 9
Vr 804 / 32, Beschluss vom 25. Juni 1932.
937 Zwei der eingewiesenen Jugendlichen, der fünfzehnjährige Karl W. und der gleich-
altrige Kellnerlehrling Bruno M. waren Halbwaise, der fünfzehnjährige landwirt-
schaftliche Hilfsarbeiter Anton R. war ein » lediges Kind «.
938 So vermerkten die Erhebungen des Jugendamtes über den Vater des sechzehnjäh-
rigen Handelsschülers Alfred V., dass er » zu hause gar nichts bedeutete. Er musste
die Hausarbeiten verrichten, während die Frau in den Tag hinein schlief und d[ ie ]
Kinder nichts taten, dafĂĽr wurde er von Frau u. Kinder [ sic ! ] mit AusdrĂĽcken, wie
» böhmischer Depp « u. dergl[ eichen ] belegt. «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 370, 9 Vr
316 / 31, Fragebogen vom 20. März 1931.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik