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228 V. Das Verfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Kriminalgerichtsordnung Joseph II. beseitigte 1788 zwar den strafpro-
zessualen Teil der Theresiana, sie hielt jedoch weiter am Inquisitions-
prinzip fest. Ihre Bestimmungen gelangten ĂĽber das westgalizische
Strafgesetzbuch in das Strafgesetz 1803, das sowohl das materielle Straf-
recht als auch das Strafverfahrensrecht in einem einzigen Gesetzeswerk
regelte.
Wesentliche Änderungen erfuhr das österreichische Strafprozess-
recht durch die im Gefolge der 1848 er Revolution erlassene proviso-
rische WĂĽrthsche StrafprozeĂźordnung 1850. Anklageprozess, Ă–ffent-
lichkeit und MĂĽndlichkeit bestimmten nun das Verfahren, schwere
Verbrechen, Pressedelikte und politische Straftaten fielen in die Zustän-
digkeit der Geschworenengerichte. Zur Umsetzung des Anklagegrund-
satzes wurden Staatsanwaltschaften geschaffen. Die RĂĽckkehr zur ab-
solutistischen Herrschaftsform bedeutete auch fĂĽr die Entwicklung des
Strafverfahrens eine Zäsur: Die Strafprozessordnung aus dem Jahr 1853
orientierte sich wieder stark am Strafgesetz 1803 und dem dort veran-
kerten Inquisitionsprozess. Noch im selben Jahr erfolgte die Auflösung
des Oberlandesgerichtes Linz und die Zuweisung von Ă–sterreich ob der
Enns an den Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien sowie die Festle-
gung des Landesgerichtssprengels Linz mit der Landeshauptstadt Linz
und dem MĂĽhlkreis. An ihr sollte sich auch nach dem Untergang der
Monarchie nichts ändern.
Die Wende zum Konstitutionalismus 1867 schuf schlieĂźlich die
Grundlage für ein vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts geprägtes
Strafverfahrensrecht, das fĂĽr den Abschnitt des Hauptverfahrens den
Grundsätzen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des
Verfahrens verpflichtet war. Seine Umsetzung fand es in der 1873 erlasse-
nen Strafprozessordnung. Dem Anklagegrundsatz entsprach die gänzli-
che Trennung von Richteramt, Anklage und Verteidigung. Das Strafver-
fahren selbst wurde vom Prinzip der materiellen Wahrheit beherrscht.
Es zerfiel in das Vorverfahren, das der Vorbereitung der Hauptverhand-
lung diente, und in die Hauptverhandlung, die den Schwerpunkt des
Verfahrens ausmachen sollte. Zur Verhandlung ĂĽber das Verbrechen
der Unzucht wider die Natur waren die Gerichtshöfe erster Instanz be-
rufen. Nach dem Untergang der Monarchie ĂĽbernahm die Republik
sowohl deren materielles Strafrecht als auch das Strafverfahrensrecht.
Die in weiterer Folge erlassenen Änderungen der Strafprozeßordnung
1873 waren wesentlich von zwei Grundsätzen beherrscht: Der Entlas-
tung der Gerichte, der die Möglichkeit des vereinfachten Verfahrens
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik