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234 VI. VeranlassungsgrĂĽnde der Strafverfahren
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
gehende Ermittlungen zu Grunde lagen.958 Vor allem die Polizei ten-
dierte in ihrem Wirkungsbereich dazu, in ihren Erörterungen die In-
halte der Voruntersuchung bereits vorwegzunehmen. Während § 109
der Gendarmerieinstruktion vom 3. März 1895 959 den Gendarmeriebe-
amten untersagte, ĂĽber Anzeigen, die ihnen gemacht wurden, Proto-
kolle aufzunehmen, war die Polizei durch keine derartige Vorschrift ge-
bunden. Anders als die Gendarmerie, die häufig tatsächlich nur eine
Anzeige mit knapper Schilderung des Sachverhaltes und verhältnis-
mäßig kurzer Darstellung der Beweismittel an die Staatsanwaltschaft
ĂĽbermittelte, waren die polizeilichen Anzeigen meist das Ergebnis um-
fangreicher Nachforschungen und durch entsprechende Beweisauf-
nahmen gestützt.960 Ergaben die sicherheitsbehördlichen Ermittlungen
hinlänglichen Grund für die Annahme, dass der Tatbestand des § 129
I b StG 1852 erfüllt war, bildete die Anzeige an die zuständige Behörde
den Schlusspunkt der Ausforschungstätigkeit von Polizei oder Gendar-
merie.961
Für » Species facti « 962 und Anzeigen durch die Sicherheitsbehörden
existierten Formulare 963, die Aufbau und Inhalt dieser SchriftstĂĽcke
[ abgedruckt bei Dehmal Heinrich, Die österreichische Polizeigesetzgebung ( 1926 )
285 ], verpflichtete Gendarmen an jenen Orten zur Anzeige bei der Staatsanwalt-
schaft, wo sich ein Gerichtshof befand, sonst zur Anzeige beim Bezirksgericht. Mit
Erlass des Bundeskanzleramtes vom 11. August 1927, Z. 172.063, mitgeteilt im JABl
1927, 39, wurde diese Regelung dahingehend modifiziert, dass die Gendarmerie
Verbrechen, Vergehen und Übertretungen grundsätzlich bei jenem Bezirksgericht
anzuzeigen hatte, in dessen Sprengel das Gendarmeriepostenkommando lag und
die Anzeige nur in Ausnahmefällen an die Staatsanwaltschaft zu richten hatte.
958 Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise wurde durchaus unterschiedlich gesehen,
ablehnend Kafka Gustav, Sicherheitsbehörde und Justiz im Vorverfahren, ÖJZ 1947,
137; bejahend Reidinger Karl, Die Stellung der Sicherheitsbehörden im gerichtlichen
Vorverfahren, in FS Hundert Jahre österreichische Strafprozeßordnung 1873–1973
( 1973 ) 185 ( 188 ).
959 Dienstinstruktion fĂĽr die k.k. Gendarmerie, genehmigt mit Kais. EntschlieĂźung
vom 3. März 1895, abgedruckt bei Dehmal Heinrich, Polizeigesetzgebung 285.
960 Vgl Reidinger Karl in FS Hundert Jahre österreichische Strafprozeßordnung 187;
Kafka Gustav, Ă–JZ 1947, 138.
961 Siehe dazu auch Kapitel VII.
962 FĂĽr diese Tatberichte hatte sich mit dem Wechsel der juristischen Fachsprache
von Latein zu Deutsch zunächst die Bezeichnung » Geschichtserzählung «, später
» Sachverhalt « eingebürgert, vgl Meyer-Krentler Eckhardt, » Geschichtserzählungen «.
Zur › Poetik des Sachverhalts ‹ im juristischen Schrifttum des 18. Jahrhunderts, in
Schönert Jörg ( hg ), Kriminalität 117 f. In den Anzeigen der Gendarmerie hatte sich
der lateinische Begriff » Species facti « erhalten.
963 Diese sind abgedruckt in Lichem Arnold, Ausforschungsdienst. Zum Gebrauche fĂĽr
die österreichische Bundesgendarmerie ( 1923 ) 259 ff.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik