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290 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
chen Amtsverschwiegenheit anvertraut wurden, nicht aussagen durften.
Gleiches galt gem Z 2 leg cit bei Staatsbeamten, falls ihre Zeugenaus-
sage eine Verletzung des Amtsgeheimnisses bedeutet hätte.1247 Für Ver-
wandte und Verschwägerte der Beschuldigten in auf- und absteigender
Linie, Ehegatten von Beschuldigten und deren Geschwister, Geschwis-
ter der Beschuldigten und deren Ehegatten, Geschwister der Eltern und
Großeltern der Beschuldigten, Neffen, Nichten, Geschwisterkinder, Ad-
optiv- und Pflegeeltern, Adoptiv- und Pflegekinder, Vormund und Mün-
del der Beschuldigten bestand gem § 151 Z 1 StPO 1873 eine Befreiung
von der Zeugnispflicht. Über dieses Recht, sich der Zeugenaussage zu
entschlagen, mussten die Begünstigten ausdrücklich belehrt werden.
Machten sie von ihrem Entschlagungsrecht keinen Gebrauch, bestand
die Zeugnispflicht im gleichen Umfang wie für jede andere Person.1248
Verteidiger waren vom Zeugnis lediglich im Hinblick darauf befreit, was
ihnen von den Beschuldigten in ihrer Funktion als Verteidiger anver-
traut worden war ( § 152 Z 2 StPO 1873 ).
Nach der Strafprozeßordnung 1873 unterlagen die Aussagen von
Zeuginnen und Zeugen wie alle anderen Beweismittel der freien richter-
lichen Beweiswürdigung. Blieb schon der Wert der Sachbeweise mitun-
ter begrenzt oder beschränkte sich auf bloßen Indizienbeweis, so galt
dies umso mehr für die Aussagen von Zeuginnen und Zeugen: Mit ihrer
» Unvollkommenheit « sahen sich sowohl Strafverfolgungsbehörden als
auch Verteidiger nur allzu oft konfrontiert.1249 Suggestionen,1250 optische
Täuschungen,1251 Emotionen, aber auch mangelnde ( Fach- ) Kenntnisse –
etwa über räumliche Verhältnisse und Entfernungen, Größe oder Rich-
tung 1252 – beeinflussten den » Wahrheitsgehalt « von Zeugenaussagen.
1247 Allerdings konnten Staatsbeamte durch ihren Vorgesetzten von der Verschwiegen-
heitspflicht entbunden werden.
1248 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 246.
1249 Vgl Moravcsik Ernst Emil, Über die Zeugnisfähigkeit, MSchrKrim 1908, 401 ( 402 ).
Vgl auch den Befund bei Bachhiesl Christian, Zwischen Indizienparadigma und
Pseudowissenschaft. Wissenschaftshistorische Überlegungen zum epistemischen
Status kriminalwissenschaftlicher Forschung ( 2012 ) insb 340; Vec Miloš, Die Spur
des Täters. Bertillonage, Daktyloskopie und Jodogramm: Fortschritte und Verspre-
chungen der naturwissenschaftlichen Kriminalistik um 1900, juridikum 2001, 89.
1250 Vgl Schneickert Hans, Zur Psychologie der Zeugenaussagen. Beitrag zur psychologi-
schen Analyse der Stimmung, insbesondere der Suggestion in ihrer forensischen
Bedeutung, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd 13, 1903, 193.
1251 Vgl Cuny, Ein Beispiel von optischer Täuschung eines Zeugen, Archiv für Kriminal-
Anthropologie und Kriminalistik, Bd 3, 1900, 337.
1252 Vgl Gross Hans / Höpler Erwein, Handbuch für Untersuchungsrichter II 7 80 ff.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik