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Das Suchen und Finden von Beweisen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
» Bei seinem Mangel an ethischen Begriffen war ihm die Gelegen-
heit willkommen, auf eine billige Art zu Wertgegenständen zu
kommen. Es erscheint seinem [ des Alfred V. ] ganzen Wesen nach
durchaus nicht ausgeschlossen, dass er von vornherein wusste,
es mit einem Homosexuellen zu tun zu haben. Besonders unter
ständigen Bäderbesuchern sind ja diese Leute bekannt. « 1412
Im Fall des fünfzehnjährigen Schlosserlehrlings Anton H. gelangte das
Jugendamt Linz zu dem Schluss: » dass kleine Zuwendungen eine Rolle
spielten, dürfte ja erwiesen sein. « 1413 Auch dort, wo die Beurteilung der
Jugendlichen nicht negativ ausfiel, wurde kaum daran gezweifelt, dass
es zu einer Anklageerhebung kommen wĂĽrde:
» Das Jugendamt wird daher höflichst ersucht, sich des Jugend-
lichen insbesondere bei der zu gewärtigenden Verhandlung
wärmstens anzunehmen, damit ihm sein fernerer Lebensweg
u. sein Fortkommen durch seine unĂĽberlegte Hanlung [ sic ! ] u.
eventuelle Abstrafung nicht allzusehr erschwert oder unmöglich
gemacht wird. « 1414
Bei den Fragen, um deren Beantwortung die Gerichte die von den Ju-
gendlichen besuchten Schulen unmittelbar zu ersuchen hatten, han-
delte es sich um standardisierte, stets gleichbleibende Fragebögen. Sie
waren nicht auf einzelne, bestimmte Delikte zugeschnitten.1415 Die ange-
1412 OÖLA, BG / LG Linz Sch 370, 9 Vr 316 / 31, Fragebogen vom 20. März 1931.
1413 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 383, 9 Vr 104 / 32, Fragebogen ( undatiert ).
1414 OÖLA, BG / LG Linz Sch 405, 9 Vr 605 / 33, Jugenderhebungen vom 31. März 1933.
1415 Die – immer gleich bleibenden – Fragen an die jeweilige Schule lauteten: » 1. Hatte
der SchĂĽler im Laufe des Schulbesuches einen guten oder schlechten Fortgang ? 2.
War ( ist ) das geistige Auffassungsvermögen ein normales oder haben sich Anzei-
chen dargeboten, daĂź die geistigen Eigenschaften hinter den der anderen SchĂĽler
zurĂĽckstanden ? 3. War ( ist ) der SchĂĽler wahrheitsliebend oder verlogen; hat sonst
sein Verhalten in sittlicher Richtung AnlaĂź zur Klage gegeben ? 4. Hat er sich in der
Schule strafbarer Handlungen, wie kleinerer Diebstähle schuldig gemacht ? 5. Wie
verhielt er sich gegen erhaltene Strafen und Zurechtweisungen ? 6. Ist ( war ) der
Schüler seinem Alter entsprechend körperlich normal entwickelt ? Ist er mit auffal-
lenden Gebrechen behaftet ? 7. Hat der SchĂĽler schwere Krankheiten wie Typhus,
Fraisen durchgemacht oder schwere Verletzungen erlitten ? 8. Leben die Eltern in
guten oder schlechten Verhältnissen; erziehen sie ihre Kinder gut oder schlecht
oder verleiten sie die Kinder etwa zu strafbaren Handlungen ? 9. Sind ( waren ) seine
Eltern, Geschwister oder andere nahe Verwandte geisteskrank ( epileptisch, hyste-
risch ) oder trunksüchtig ? «, siehe statt vieler OÖLA, BG / LG Linz Sch 338, 13 Vr 37 / 29,
Fragebogen vom 3. Jänner 1929.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik