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Zusammenfassung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Strafverfolgungsbehörden nicht nur Beweise erhoben, sondern auch
selbst an der Produktion von Beweismitteln beteiligt waren, zeigen die
Strafkarten und Leumundsnoten. Obwohl die zeitgenössische Praxis
sich über den » Wahrheitsgehalt « dieser Beweise immer wieder kritisch
äußerte, wurde ihre Beischaffung regelmäßig gefordert. Gleiches galt
fĂĽr die Jugenderhebungen. Ihr Inhalt konnte den Juristen als unbe-
denklicher gelten, manifestierte sich in ihnen wie auch in den gerichts-
ärztlichen Gutachten doch gewissermaßen der » sachverständige Blick «.
Psychiatrische Gutachten wurden erstellt, wenn entweder den Un-
tersuchungsbehörden selbst Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der
Beschuldigten kamen oder diese sich im Verhör auf eine » krankhafte
Veranlagung « beriefen. Damit unterschied sich das Beweisthema der
Gutachten grundlegend von dem der ĂĽbrigen Beweismittel: Es ging
nicht um den Nachweis der Tat, sondern um die Frage, ob den Beschul-
digten eine unzĂĽchtige Handlung vorgeworfen werden konnte. Die in
den psychiatrischen Gutachten enthaltenen Lebensschilderungen der
Beschuldigten orientierten sich an dominanten sexualwissenschaftli-
chen Erzählmustern konträrsexueller Veranlagung. Die Praxis kannte
neben Erzählungen über eine naturhaft-angeborene konträrsexuelle
Veranlagung freilich auch Schilderungen einer erst zu einem späteren
Zeitpunkt erworbenen » Neigung «: In den wenigen Fällen, die keine
» stimmige « konträrsexuelle Biographie erlaubten, sollten traumati-
sche Ereignisse das inkriminierte Verhalten plausibel erscheinen las-
sen. Auch hinsichtlich der Körperbefunde verblieben die Befunde in
gängigen Deutungsmustern von Weiblichkeit und Männlichkeit. Die
eigentlichen, abschlieĂźenden und weitgehend pathologisierenden Gut-
achten schlossen in sämtlichen Fällen eine Unzurechnungsfähigkeit
aus, wenngleich sie sich durchwegs für eine » milde « Bestrafung aus-
sprachen.
Ob das Vorverfahren mit einer ZurĂĽcklegung der Anzeige oder ei-
ner Einstellung der Voruntersuchung endete, oder ob der Staatsanwalt
entschied, Anklage zu erheben beziehungsweise Strafantrag zu stellen,
hing wesentlich von den Ergebnissen der Vorerhebungen und Vorun-
tersuchung ab. Nur wenn es gelang, ausreichend Beweismittel zu sam-
meln, durch die sich in einer anschlieĂźenden Hauptverhandlung der
Tatbestand der Unzucht rekonstruieren lieĂź, kam es zu einer Fortset-
zung des Strafverfahrens. Anklageschrift und Strafantrag legten sodann
das Thema der Hauptverhandlung und auch die wesentlichen an ihr
beteiligten Personen fest.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik