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354 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
D. Urteil
1. Formalitäten und Freisprüche
Für den Schluss der Verhandlung war keine besondere Form vorgese-
hen. Allerdings handelte es sich bei dem obligatorischen » Sich-Zurück-
ziehen « des Gerichts zur nichtöffentlichen Beratung » um den relativ
wichtigsten und dazu noch inappellablen Act der richterlichen Thätig-
keit. « 1626 War das Gericht zu einem Beschluss gekommen, hatte es un-
verzüglich die Verkündung des Urteils vorzunehmen. Dabei war eine
Reihe von Förmlichkeiten einzuhalten. Die Urteilsverkündung hatte öf-
fentlich zu erfolgen, und zwar auch dann, wenn die Verhandlung selbst
ganz oder teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden
hatte. Einzig im Verfahren vor dem Jugendgericht konnte die Öffent-
lichkeit gem § 40 Abs 1 JGG 1928 auch während der Urteilsverkündung
ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Angeklagten lag.
Sämtliche Richter, der Ankläger, die Angeklagten und ihre Verteidiger
hatten bei der Verkündung des Urteils anwesend zu sein. Verhaftete An-
geklagte, die für die Dauer der Beratung des Gerichts aus dem Verhand-
lungssaal abgeführt worden waren, mussten zur Urteilsverkündung vor-
geführt werden.1627 Vor den Versammelten verkündete der vorsitzende
Richter beziehungsweise der Einzelrichter im vereinfachten Verfahren
das Urteil und belehrte die Angeklagten über die ihnen allenfalls zuste-
henden Rechtsmittel. Während der Urteilsverkündung hatten sich alle
Anwesenden zu erheben, Träger des Amtskleides mussten außerdem
das Haupt bedecken.1628 Erst durch die förmliche Verkündung wurde
das Urteil existent, beendete in inhaltlicher Hinsicht den Prozess und
war für das Gericht bindend.
Seit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 wur-
den die Urteile » Im Namen der deutschösterreichischen Republik « ver-
1626 Mayer Salomon, Handbuch II 352.
1627 Nach Mayer sollte durch die Entfernung der Angeklagten aus dem Sitzungssaal
eine » zwecklose Schaustellung « vermieden werden, vgl Mayer Salomon, Handbuch
II 353. In der Praxis wurde bei kurzer Beratung jedoch weitgehend darauf verzich-
tet, Angeklagte abzuführen, vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 350 Fn 3.
1628 Eine rechtliche Grundlage erhielt diese Übung erst durch § 59 Abs 4 Geschäftsord-
nung für die Gerichte I. und II. Instanz ( Geo.), Verordnung für Justiz und für Finan-
zen im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler vom 29. Dezember 1930, betreffend
die Abänderung des § 265, Absatz 3, der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II.
Instanz ( Geo.), BGBl 1930 / 374. Davor war sie für » eine Sitte « angesehen worden, » die
als solche beibehalten zu werden verdient «, Lohsing Ernst, Strafprozessrecht 2 529 Fn 1.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik