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Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
spruch gegen den fünfzehnjährigen Knecht Johann P. gründete der
Gerichtshof darauf, dass » Angeklagter für den Fall eines wirklich ernst-
gemeinten Widerstandes nur hätte schreien müssen um die unzüchti-
gen Angriffe des K. gegen seine Person abzuwehren « 1652. Johann P. hatte
ausgesagt, er habe geschrien, doch habe ihn niemand gehört. Dies er-
schien dem Gericht jedoch angesichts des Umstandes als unglaubwür-
dig, dass » sich die Handlungen jedesmal im Hofe des Pfarrhauses ab-
spielten, wo Angeklagter sofort gehört worden wäre « 1653. Das Gericht
bediente sich in Verfahren wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht ei-
ner bei Sexualdelikten generell weit verbreiteten Begründungslogik:
Wer strafmündig war, wurde im Allgemeinen auch für fähig erachtet,
sich gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen.1654 Fehlten hör- oder
sichtbare Anzeichen für eine Gegenwehr, nahm das Gericht an, beide
Teile seien – zumindest insgeheim – mit den unzüchtigen Handlungen
einverstanden gewesen.1655 Das Verhalten der Jugendlichen wurde da-
her prinzipiell als strafwürdig erachtet. Das Bestehen eines Abhängig-
keitsverhältnisses zu dem erwachsenen Mittäter beziehungsweise den
Umstand, dass die Jugendlichen durch einen Erwachsenen zu den un-
züchtigen Handlungen » verleitet « worden waren, wertete das Gericht
lediglich als Strafmilderungsgrund. Auch das jugendliche Alter, eine
vernachlässigte Erziehung oder dass der Verurteilte » offensichtlich un-
ter dem Einfluss der Pubertät gehandelt hat « 1656, führten die Urteile als
mildernde Umstände bei der Strafbemessung an.
Als weitere Milderungsgründe bei jugendlichen wie auch bei erwach-
senen Verurteilten verzeichneten die Urteilsbegründungen » krankhafte
Veranlagung « 1657, » Aufregung durch Alkohol « 1658, » geistige Minderwer-
tigkeit « 1659, » Versuch « 1660 sowie in einigen wenigen Fällen » aufstoßende
1652 OÖLA, BG / LG Linz Sch 363, 13 Vr 1050 / 30, Urteil vom 30. August 1930.
1653 OÖLA, BG / LG Linz Sch 363, 13 Vr 1050 / 30, Urteil vom 30. August 1930.
1654 Der Gerichtsmediziner Friedreich sprach diesbezüglich gar von einem » allgemei-
nen Grundsatz «, der für Frauen wie für Männer galt, vgl Friedreich Johann Baptist,
Blätter für gerichtliche Anthropologie 1852 / 1, 64. Vgl auch die Darstellung bei Loetz
Francisca, Gewalt 30 f, 70 ff ( mit weiteren Nachweisen ).
1655 Siehe auch Lichem Arnold, Ausforschungsdienst 257 f.
1656 OÖLA, BG / LG Linz Sch 483, 9 Vr 1498 / 36, Urteil vom 10. Oktober 1936.
1657 Statt vieler OÖLA, BG / LG Linz Sch 307, Vr VI E 1226 / 24, Urteil vom 14. November
1924.
1658 Statt vieler OÖLA, BG / LG Linz Sch 339, 6 Vr 449 / 29, Urteil vom 10. Juli 1929.
1659 Statt vieler OÖLA, BG / LG Linz Sch 315, Vr VI E 24 / 26, Urteil vom 16. Jänner 1926.
1660 Statt vieler OÖLA, BG / LG Linz Sch 305, Vr VI E 693 / 24, Urteil vom 4. Juni 1924.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik