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384 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
versammlung 1750 und mit Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes
1920 schließlich auf den Bundespräsidenten übergegangen ( Art 65 Abs 2
lit c ).1751 Auf Vorschlag des Bundesministers fĂĽr Justiz konnte der Bun-
despräsident durch Verwaltungsakt nach Eintritt der Rechtskraft eines
Urteils die Strafe teilweise oder zur Gänze erlassen. Durch die Ausübung
des Begnadigungsrechtes verzichtete der Staat auf seine Strafbefugnis.
Dieser Verzicht erlaubte es, Härten des Rechts auszugleichen und Um-
stände zu berücksichtigen, die erst während der Vollstreckung der Strafe
zu Tage getreten waren und nachträglich eine mildere Beurteilung der
Verurteilten rechtfertigten.1752 Mit Inkrafttreten des Gesetzes ĂĽber die be-
dingte Verurteilung wurde auch eine bedingte Begnadigung möglich.1753
Die Begnadigung stellte eine Verwaltungsangelegenheit dar. Eine
gerichtliche Mitwirkung war durch die StrafprozeĂźordnung 1873 in je-
nen Fällen vorgesehen, in denen eine verurteilte Person nach Strafan-
tritt ein Gnadengesuch eingebracht hatte oder ein von jemand anderem
eingebrachtes Gnadengesuch dem Gericht zur Begutachtung abgetre-
ten wurde.1754 Das Erkenntnisgericht erster Instanz hatte das Gnaden-
gesuch zu prüfen und zurückzuweisen, wenn es keine hinlänglichen
GrĂĽnde fĂĽr eine Nachsicht oder Milderung der Strafe als gegeben erach-
tete. Andernfalls legte es das Gesuch dem Oberlandesgericht vor, das
nach Anhörung des Oberstaatsanwalts einen Beschluss fasste: Dieser
lautete meist auf Zurückweisung des Gesuchs. Nur in seltenen Fällen
leitete das Oberlandesgericht ein Gnadengesuch mit seinem Antrag an
das Bundesministerium fĂĽr Justiz weiter.1755
1750 Zunächst stand das Recht der provisorischen Nationalversammlung zu ( § 3 Ge-
setz vom 12. November 1918 ĂĽber die Staats- und Regierungsform vom Deutsch-
Österreich, StGBl 1918 / 5 ), wurde dann auf den Staatsrat ( § 16 Grundgesetz vom
22. November 1918 ĂĽber die richterliche Gewalt, StGBl 1918 / 38 ) und schlieĂźlich
auf die konstituierende Nationalversammlung ĂĽbertragen ( Art 7 Abs 4 Gesetz vom
14. März 1919 über die Staatsregierung, StGBl 1919 / 180 ).
1751 Vgl Klecatsky Hans R., Die staatsrechtlichen Wurzeln des Gnadenrechtes, JBl 1967,
445 ( 447 ). Auch die 1934 erlassene » ständische Verfassung « sah in Art 78 Abs 2 lit d
ein Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten vor, Kundmachung der Bundesre-
gierung vom 1. Mai 1934, womit die Verfassung 1934 verlautbart wird, BGBl II 1934 / 1.
1752 Vgl Finger August, Begnadigung, in Mischler Ernst / Ulbrich Josef ( hg ), Ă–sterreichi-
sches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen
Rechts I 2 ( 1905 ) 432.
1753 Vgl ErlaĂź des Bundesministeriums fĂĽr Justiz vom 13. November 1920 ĂĽber die be-
dingte Begnadigung, JMABl 1920, 34.
1754 Vgl Lohsing Ernst, StrafprozeĂźrecht 3 566.
1755 Vgl Lohsing Ernst, StrafprozeĂźrecht 3 566.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik