Page - 39 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
Angesichtsdesauf„deutscheMusik“fokussiertenMusik-und„Musikstadt“-
Bildes entstehtwiederumderEindruck,dieseshabe seit dem„Anschluss“ eine
erhöhte „deutschnationale“ Aufladung erfahren. Doch zugleich ist ebenso
festzustellen,dasssichdiespezifischeWien-Codierungdes„Musikstadt“-Topos
imNationalsozialismusgegenüberderZeitvordem„Anschluss“verstärkte–auf
die Einschreibung derWiener Philharmoniker in die städtische Topographie
wurde oben exemplarisch hingewiesen, und gerade das Beispiel der Wiener
Philharmonikermacht deutlich, wie sich „deutschnationale“ und „wienspezi-
fische“ Codierungenmiteinander verbinden konnten: So sprach etwa derDi-
rigentWilhelmFurtwängler1942vondenPhilharmonikernals„Repräsentanten
einer ganzen deutschen Landschaft“ und von der „Einheitlichkeit der völki-
schenZusammensetzung“, welche „dieWiener Philharmoniker zumPrototyp
einesVolksorchesters imwahrstenSinn“machenwürde.38
WennnunSchirachWienals„HauptstadtderdeutschenMusik“bezeichnete,
dürfte ihm dies einerseits als Mittel für internationale Anerkennung der
„deutschen“ StadtWien gedient haben, andererseits aber auch als Instrument
zur Herrschaftskonsolidierung nach innen. Deshalb operierte er in gewisser
Weiseaneinerkulturpolitischen„Autonomisierung“Wiensundbedientedamit
letztlich die althergebrachte „Musikstadt“-Strategie, die Martina Nußbaumer
schon für die Jahrhundertwende als „untrennbaresWechselspiel“ der Integra-
tion nach „innen“ und Differenzsetzung nach „außen“ beschrieb.39 In seiner
RedezumWienerKulturprogrammbeispielsweise,dieSchirachalsReaktionauf
die tumultartig verlaufene Uraufführung von Rudolf Wagner-R8genys
(1903–1969)Oper JohannaBalkam6.April1941imBurgtheaterhielt,nannteer
Wien die führende „Musikstadt“ nicht nur desReiches, sondern Europas, der
darumganzbesondereAufgabenerwachsenwürden.40UmdiehoheBedeutung
Wiens für die Musik zu unterstreichen, nahm er in Kauf, so verstanden zu
werden, als löse er die „Musikstadt“ zumindest rhetorisch aus einemReichs-
kontext heraus. Und dass die praktische Gestaltung vonWiens Kulturpolitik
unter Schirach stärker aufWien zentriert und geringer reichsbezogen ausge-
richtet erscheint, könnte tatsächlich soverstandenwerden: es lässt sich fürdie
Musikpublizistikebensogeltendmachen41wie fürdieProgrammgestaltungdes
Staatsoper am 4.Dezember 1941. In: Zeitschrift für Musik, 109 (1942), Heft 2: Februar
(Beilage), S. 3–5,hierS. 4.
38 WilhelmFurtwängler:DieWienerPhilharmoniker.Rede anlässlich ihrerHundertjahrfeier
1942. In:Ders.: TonundWort.AufsätzeundVorträge 1918bis 1954. 10.Aufl.Wiesbaden:
Brockhaus1982,S. 175–183,hierS. 179.
39 Nußbaumer:Musikstadt (Anm.4), S. 362.
40 Baldur von Schirach:DasWienerKulturprogramm.Wien: Zentralverl. d. NSDAP [1941],
S. 21.
41 Exemplarisch dargestellt an denWiener Philharmonikern bei Fritz Trümpi: Politisierte
„MusikstadtWien“-Toposals Instrument 39
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur