Page - 59 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
Image of the Page - 59 -
Text of the Page - 59 -
© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
schließt sich der Kreis zu den eingangs besprochenen strukturellenÄhnlich-
keiten zur Lage der Musikwissenschaft in Deutschland. Auch inÖsterreich
führte das lange Weiterwirken eines mit dem Nationalsozialismus vielfältig
Kooperierenden,derseineeigenePositionnachdemKriegwirkungsvollstärken
konnte, zu einer Situation, die einem kritischen Hinterfragen der eigenen
FachgeschichtewährenddesNationalsozialismuskaumförderlich seinkonnte.
Wie effektiv die Verschleierung funktionierte, zeigen außerdem einige, ange-
sichts des heutigen Kenntnisstands nur als hoffnungslos missglückt zu be-
zeichnendenDarstellungen, die Schenks Selbstdarstellung55 folgend ihn noch
langenachseinemTod1974alsBewahrerderAdler-Bibliothekbeschreiben, ihn
mituntergar zum„verkappte[n]Widerstandskämpfer“ stilisieren.56
Erst1998wurden imRahmenderFeierlichkeitenzum100jährigenJubiläum
ersteSignale gesetzt, dass eineAuseinandersetzungmitder Institutsgeschichte
dringend erforderlich sei.57Unterder Leitung vonManfredAngerer hatte sich
eine Gruppe Studierender58 sehr engagiert dieser Aufgabe gewidmet und ein
Forschungsprojekt entwickelt, dasbeimFWFeingereicht, allerdingsauchnach
einerÜberarbeitungabgelehntwurde.59Nebeneinigendurchauskonstruktiven
Kritikpunktenhatte sich einerderGutachter zudermerkwürdigenFragehin-
reißenlassen,obdasProjektwegenderzeitlichenNähenicht„vatermörderisch“
in Bezug auf die ehemaligen Lehrer wirken würde bzw. ob eine distanziert-
kritische Forschung aus eben diesemGrund zu diesem Zeitpunkt überhaupt
möglich sei.60 Es ist nicht notwendig, hinter diesem Gutachter jemanden zu
vermuten, der im Fall des Wiener Instituts versuchte, Schenks Ansehen zu
schützen, ebensowenig, dass der FWF sich gerade diesemKritikpunkt ange-
schlossen und das Projekt deswegen nicht gefördert habe; in beiden Fällen
mögen andereMotive eine Rolle gespielt haben als der Versuch, eine wissen-
schaftliche Aufarbeitung zu verhindern. Trotzdem ist dieser Kommentar be-
merkenswert, da er einerseits politische Korruption der Musikwissenschaft
voraussetzt, andererseits auch dem generationenübergreifenden sozialen Zu-
sammenhaltkorrumpierendeWirksamkeit zuspricht (sonstwäreeinekritische
Vergangenheitsbetrachtung kaum als „vater“-mörderisch zu qualifizieren).
Beide Aspekte verweisen allerdings eher auf die große Notwendigkeit einer
55 Erich Schenk: „Schenk Erich“. In: Friedrich Blume (Hg.): DieMusik in Geschichte und
Gegenwart.AllgemeineEnzyklopädiederMusik.Kassel: Bärenreiter 1949–1986,CD-ROM,
Sp.66600–66608.
56 Vgl. die entsprechendenHinweise auf einemittlerweile entfernteAusstellungstafel zur In-
stitutsgeschichtebeiStaudinger: „FinstereDämonen“ (Anm.37), S. 249.
57 Ebd.
58 MichaelStaudinger, SabineSeuß, IrmgardSchartner,BettinaBüttner,GeraldResch,Ulrike
LampertundBernoOdoPolzer.
59 Vgl. Staudinger:Ein„vatermörderisches“Projekt? (Anm.37), S. 393–406.
60 Ebd.
Das Institut fürMusikwissenschaft anderUniversitätWiennachGuidoAdler 59
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur