Page - 63 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
dieAnalyse doch nicht auf Einzelbeispiele beschränken; gerade die kulturelle
Praxisder (europäischen)Wissenschaft, zuderenentscheidendenKriteriendie
BezugnahmeaufvorangehendeundgleichzeitigeErkenntnisseAnderergehört,
zwingt dazu, einzelneArbeiten ausdemEntstehungszusammenhangundVer-
weisungskontext zu interpretieren.70 Dass darüber hinaus der Rahmen des
Entstehungszusammenhangs nicht allein aus den Produkten andererWissen-
schaftler, sondern auch durch den historisch-kulturellen Kontext beeinflusst
wird, verleihtderAufgabeeineweitereDimension.
LetztlichkönnenallerdingsalleinsolcheAnalysenzueinemdeutlichbesseren
Verständnis derMusikwissenschaft alsDisziplin führenunddieGemeinschaft
alsDenkkollektiv71begreifenhelfen.GleichzeitigsollteaufdiesemWegdeutlich
werden,obsicheinemarkanteDeformationdurchpolitischeund ideologische
Brüche erkennen lässt oderwie sichdiese gestalteten.Dabei sollte hier beson-
dereVorsichtangebracht sein, inderVerwendungeinzelnerBegriffeoderauch
Denkfiguren,wie etwa „Rasse“, „Stamm“, „deutsch“, „germanisch“ oder ähn-
lichen eine nationalsozialistischeGesinnung ablesen zuwollen. Die „österrei-
chische Volksmusik deutscher Art“ zur Grundsubstanz der Musikgeschichte
Österreichs zu erklären mit Verweisen auf den „germanisch-keltischen Ur-
sprung“Österreichs als „deutsche[m] Stammland“, dessen „Stammbevölke-
rung“sich„physischundkulturell“mitdenumgebendenRomanen,Slawenund
Ungarn „mischte[n]“ unddessenmusikalische „Fähigkeiten imUrboden“ be-
gründet wären, könnte relativ leicht im Kontext nationalsozialistischer „Blut
und Boden“-Rhetorik gelesenwerden. Da aber der Autor dieser einleitenden
BeschreibungzueinerkurzenMusikgeschichteÖsterreichsniemandandererals
GuidoAdlerwar,72wirdmankaumaufeinesolcheInterpretationzurückgreifen.
Es gilt hier, die Perspektive der Fragestellungen nicht zu schmal auf einen
NachweisnationalsozialistischenGedankengutszubeschneiden.Hingegenwäre
die Darstellung des Zusammenwirkens von musikwissenschaftlichen Frage-
stellungen und Argumentationen mit dem Wandel der historiographischen
(Re-)Konstruktionenüber einenZeitraumvon ca. 1920 bis 1960 ein durchaus
erstrebenswertesZiel.
DassdasThemaMusikwissenschaftundNationalsozialismusaktuell ist,zeigt
die seit 2009 heftig geführte Diskussion um Hans Heinrich Eggebrecht
70 VergleichbareStudienunternahmenMatthiasPape:Mozart–Deutscher?Österreicher?oder
Europäer? In: ActaMozartiana 44 (1997), S. 53–84 oderAnitaMayer-Hirzberger: „…ein
Volk von alters her musikbegabt“. Der Begriff „MusiklandÖsterreich“ im Ständestaat.
(Frankfurt/Mainu.a:Lang2008 (=Musikkontext 4).
71 LudwikFleck:EntstehungundEntwicklungeinerwissenschaftlichenTatsache.Einführung
indieLehrevomDenkstil undDenkkollektiv. Frankfurt/Main: Suhrkamp1980.
72 Guido Adler: Musik inÖsterreich. In: Studien zurMusikwissenschaft 16 (1930), S. 4–5.
Das Institut fürMusikwissenschaft anderUniversitätWiennachGuidoAdler 63
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur