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I.3. Regionale Unterschiede der Zunft-Bezeichnungen und Definitionsversuch 15
hervortretenden religiösen Bezug der besprochenen Handwerksorganisation verwendet26.
Wie problematisch der Zechbegriff sein kann, zeigt beispielsweise Karl Uhlirz27 auf, der
für die Anfangszeit des Wiener Gewerbes explizit zwischen „Handwerk“ im gewerblichen
Sinne und „Zeche“ in der bruderschaftlichen Bedeutungsebene – im Sinne des älteren
lateinischen Wortes [con]fraternitas – unterscheidet; für ihn entsteht die Zunft erst durch
die Verbindung zwischen dem gewerblichen und dem bruderschaftlichen Bereich. Dem
Wortgebrauch in den Wiener Quellen entsprechend vermeidet er jedoch die Bezeich-
nung „Zunft“ in seiner Darstellung. Die von Uhlirz postulierte Unterscheidung zwischen
„Handwerk“ für die wirtschaftlich orientierte Vereinigung und „Zeche“ für den religiös-
bruderschaftlichen Verband von Handwerkern wird anschließend beispielsweise von
Hans Lentze (1909–1970) ebenso für die Anfangszeit der Wiener Handwerksgeschichte
übernommen28, jedoch nicht ohne auf den bereits in dieser Entwicklungsstufe existieren-
den engen Zusammenhang zwischen den beiden Gruppen hinzuweisen.
Dem häufigen Gebrauch des Wortes „Zeche“ in den Ordnungen des HWOB folgend,
wird dieser Begriff in der nachfolgenden Untersuchung auch bevorzugt gebraucht, um die
gewerbliche und genossenschaftliche Vereinigung der Handwerksmeister zu bezeichnen.
Der Hinweis auf den gewerblichen Charakter der Organisationen ist umso wichtiger, da
in der Forschungsliteratur ein scharfer Trennstrich zwischen diesen und den sogenann-
ten „politischen Zünften“29 gezogen wird. Mitunter wird auch eine Vereinigung zwischen
mehreren verschiedenen Handwerken zu einer Bruderschaft mit prinzipiell religiöser Ori-
entierung als „Zeche“ angeführt, vor allem in Fällen, in denen auch im HWOB selbst
dieses Wort gebraucht wird30.
Die regionalen Differenzierungen verraten allerdings noch nicht viel über die einzel-
nen Funktionen einer Zunft bzw. Zeche und helfen bei der Suche nach einer möglichen
Definition nicht viel weiter. In der historischen Forschung hat sich im Laufe der Zeit
überwiegend ein Konsens über die Grundcharakteristika von Zünften eingestellt, der
sich auch in den entsprechenden Lemmata der einschlägigen Lexika widerspiegelt. Knut
Schulz hebt beispielsweise in seinem Artikel im Lexikon des Mittelalters31 als wesentliches
Merkmal der zünftischen Verbindung die geschworene Einigung hervor, die dafür sorgte,
dass nicht nur die Zugehörigkeit zum gleichen Gewerbe entscheidend war, sondern sich
ein Wandel hin zu einer societas et fraternitas vollzog, bei der die Mitglieder diverse Rechte
hatten, gleichzeitig aber auch zahlreichen Pflichten unterworfen waren. Zentral sind für
Schulz auch Merkmale wie der Zunftzwang, die freie Wahl der Zunftmeister und das
genossenschaftliche bzw. bruderschaftliche Zusammenleben, das sich in gegenseitiger Un-
terstützung der Mitglieder, Totenfolge und -memoria ausdrückte. Gleichzeitig nahmen
die Zünfte laut Schulz ab der Mitte des 14. Jahrhunderts in einzelnen Städten auch rege
am politischen Leben teil, es bildeten sich „politische Zünfte“. Schulz verfolgt also einen
deutlich multifunktionalen Definitionsansatz. Ähnlich argumentiert auch Jürgen Brand
26 Manchmal findet sich in den Wiener Ordnungen dezidiert die Bezeichnung bruderschafft, zum
Beispiel für die Vereinigung der Ziegelmacher, die sich wohl zum großen Teil auf eine Organisation der Hand-
werker untereinander bezieht, vgl. Nr. 332. Zu Bruderschaftsbegriff und Funktionsrahmen der Bruderschaften
allgemein siehe Escher-Apsner, Bruderschaften passim.
27 Uhlirz, Gewerbe 610.
28 Lentze, Struktur 15f. Siehe dazu auch unten S. 22.
29 Siehe unten S. 29f.
30 Zur Begriffsproblematik in Bezug auf Wien siehe auch Uhlirz, Gewerbe 610 Anm. 2.
31 Schulz, Art. Zunft 687.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Title
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Subtitle
- (1364–1555)
- Author
- Markus Gneiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 674
- Keywords
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen