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20 II. Das Wiener Handwerk vom 13. Jahrhundert bis zum Jahre 1527
eine im Jahr 1208 von Herzog Leopold VI. ausgestellte Urkunde57. In dieser verfügte der
Landesfürst, dass die sogenannten Flandrenses58 Rechte und Freiheiten der anderen Wie-
ner Bürger besitzen sollten, obwohl sie nicht dem Stadtrichter, sondern dem herzoglichen
Münzkämmerer unterstellt waren. Die Wiener Stadtgeschichtsforschung identifizierte
diese Flandrenser durchgehend als Tuchfärber59 oder auch etwas differenzierter als „Tuch-
händler und -färber“60. Erst vor kurzem hat Franz Irsigler mit überzeugenden Argumen-
ten darauf hingewiesen, dass es sich bei den in der Urkunde von 1208 genannten Fland-
renses wahrscheinlich um einen Zusammenschluss von flandrischen, am Donauhandel
interessierten Kaufleuten handelte, deren Interesse es war, vom Landesfürsten rechtliche
Vorteile zu erlangen61.
Abgesehen von diesem speziellen Fall der Flandrenser, die wohl doch keine Färber
waren, können im Wien des 13. Jahrhunderts trotzdem Handwerker nachgewiesen wer-
den, wenn auch die Nachrichten spärlich bleiben. So ist beispielsweise im Jahre 1211
von Marktständen der Schuster und der Fischer und von Fleischbänken auf dem Hohen
Markt zu hören62. Vom Darlehen, das Herzog Leopold VI. den Wiener Kaufleuten und
Handwerkern angeblich zukommen ließ, war bereits die Rede63. Jans Enikel weiß wei-
ter zu berichten, dass Wiener Hausgenossen, Kaufleute, Kürschner, Krämer, Fleischhauer
und Bäcker dem Herzog zur Weihnachtszeit einen prachtvollen Empfang mit zahlrei-
chen Ehrengaben bereiteten64. Zum Jahr 1288 wird in der Schilderung des Steirischen
Reimchronisten eine bemerkenswerte Vielfalt an unterschiedlichen Gewerben in Wien
genannt: Bäcker, Fasszieher, Gerber, Goldschmiede, Hafner, Hutmacher, Korbflechter,
Messerer, Sattler, Schlosser, Tuchmacher und zahlreiche weitere65. Ebenso 1288 hatten
die incisores (in deutschsprachigen Urkunden später hantschneider und laubenherren ge-
nannt) eine herzogliche Urkunde erwirkt, in der ihnen unter anderem der Ausschnitt von
57 WStLA, H. A.-Urk. Nr. 0b; Rechte und Freiheiten 1, ed. Tomaschek Nr. II; BUB 1 Nr. 161; FRA
III/9 Nr. 3; QGW II/1 Nr. b; Lohrmann–Opll, Regesten Nr. 305.
58 WStLA, H. A.-Urk. Nr. 0b: burgenses nostros, qui apud nos Flandrenses nuncupantur.
59 Uhlirz, Gewerbe 601; Zatschek, Handwerk 12; so auch noch Csendes–Opll, Geschichte Wiens
98. Diese Gleichsetzung mit den Färbern geht wohl auf die Überlieferung der Privilegienbestätigung für die
Flandrenser durch Herzog Albrecht III. vom 18. Dezember 1373 im EB fol. 73r–v, zurück, wo es in der Über-
schrift heißt: Der brief lautt von der Flemmygen oder der verber rechten. Das Original der Urkunde liegt im
WStLA, H. A.-Urk. Nr. 837, vgl. den Druck in: Rechte und Freiheiten 1, ed. Tomaschek Nr. LXXXVI (nach
der Überlieferung im EB); FRA III/9 Nr. 36. Regesten: Regesta Habsburgica V/2, ed. Lackner–Feller–Seit-
schek Nr. 1054 (Original); Opll, Eisenbuch 39f. (Überlieferung im EB).
60 Opll, Planung 232.
61 Irsigler, Polyethnizität 209–211, 216–221. Irsigler kann das Vorgehen der flandrischen Handels-
leute, Fahrt- und Handelsverbände zu bilden und dadurch rechtliche Vergünstigungen zu erlangen, seit dem 11.
Jh. nachweisen. Dass die Flandrenses dies auch in Wien versuchten, ist anzunehmen. Weiters weist er darauf hin,
dass im Privileg von 1208 keine Rede von Färbern sei, sondern lediglich von einem consortium, dessen officium
es gewesen sei, Handel zu treiben (negociari). Schlussendlich ist Irsigler auch in dem Punkt zuzustimmen, dass
selbst die Bemerkung im EB (der Flemmygen oder der verber rechten) nicht bedeutet, dass die Flandrenser bereits
1208 Tuchfärber gewesen sind; vielmehr könnte diese im Jahre 1373 erfolgte Gleichsetzung von Flemmygen und
verber damit zusammenhängen, dass sich die Flandrenses von 1208 im Laufe der Zeit auf den Beruf der Tuch-
färberei spezialisiert hatten. Irsigler sieht also wohl berechtigterweise im erwähnten consortium der flandrischen
Kaufleute eine frühe Form der Hanse.
62 Uhlirz, Gewerbe 602; Piepes, Geschichte 7.
63 Siehe oben S. 17.
64 Jans Enikel, Fürstenbuch, ed. Strauch 631f. V. 1715–1784; vgl. Uhlirz, Gewerbe 602.
65 Ottokars Österreichische Reimchronik, ed. Seemüller V. 65664–65716. Vgl. dazu Opll, Nach-
richten 55f.; ders., Leben 2 434f.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Title
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Subtitle
- (1364–1555)
- Author
- Markus Gneiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 674
- Keywords
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen