Page - 16 - in Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen - Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
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© 2020, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847110606 – ISBN E-Lib: 9783737010603
damit gegen die Logik des Habsburgerreiches. Der zentripetale Effekt des
Krieges verpuffte insofern, als die zentrifugalenKräfte gleichzeitig zunahmen.
Geradezu selbstzerstörerische Auswirkungen hatten die verschiedenen Be-
satzungen,dennsie schufenoftmals erstdie strukturellenBedingungen fürdie
spätereSelbstständigkeitunderöffneteneinkaumkontrollierbaresKonfliktfeld
um territorialen undwirtschaftlichen Einfluss sowie Elitenhegemonien.22Am
Beispiel desMilitärgeneralgouvernements Lublinwird das imBeitrag von Jan
Lewandowski deutlich. Er zeigt die Partizipationsangebote, die den Polen ge-
machtwurden–undgemachtwerdenmussten,weilÖsterreich-Ungarn indi-
rekter Konkurrenz zuDeutschland stand, das imGeneralgouvernementWar-
schau ähnlich vorging undmitWien umdie langfristige Dominanz in Polen
stritt.Darüberhinaus sorgtendie sichwandelndenKriegsziele für viele Irrita-
tionen,weil etwa der Friedensvertrag vonBrest-LitowskdieUkraine umwarb,
aber die PolenvordenKopf stieß.Weil zugleich die Lebensbedingungenkon-
tinuierlichschlechterunddieauferlegtenLastendrückenderwurden,gelanges
nicht,dieSympathienderneuenUntertanenzugewinnen.
JenseitsdessenwarbereitsdiegegenRusslandgerichteteNationalitätenpro-
pagandakontraproduktiv,weilsieinPolendemdortigenIrredenta-Diskurseine
enormeDynamik verlieh: Selbst die bisher loyalenGalizier fordertennunmit
Vehemenzmehr FreiheitenvonWien.23DerKrieg eröffnete in dieserHinsicht
ganzneueMöglichkeiten.JensBoysenanalysiertdiesePerspektivevergleichend
fürdieMittelmächteundkommtzudemErgebnis,dassgrundsätzlicheLoyalität
gegenüberDeutschland undÖsterreich-Ungarn nicht imGegensatz zuUnab-
hängigkeitsbestrebungenstand.WurdenkeineZugeständnissegemacht,wuchs
dasUnruhepotential.DieKategoriederEnttäuschunggehörtdaheruntrennbar
zumImperiumundseinenSubjekten.
In den erobertenGebieten freilichwar zudem so etwaswie eine –mindes-
tens– semikoloniale Politik zu beobachten. Das gilt zuvorderst für das von
ClemensRuthner imerstenAbschnitt dieses Bandes analysierte Bosnien-Her-
zegowina,dassichseit1878imk.u.k.-Einflussbereichbefandundaufvielfache
Weise bereits zeitgenössisch alsKolonie kategorisiert wurde.Dort lief dieNa-
tionalitätenpolitik auf die Schaffung einer neuen bosnischen Identität hinaus,
damit Muslime, Orthodoxe und Katholiken nicht mehr gegeneinander stan-
22 Für Polen: Stephan Lehnstaedt, Imperiale Polenpolitik in denWeltkriegen. Eine verglei-
chendeStudiezudenMittelmächtenundzuNS-Deutschland(Einzelveröffentlichungendes
DeutschenHistorischenInstitutsWarschau,36),Osnabrück2017.
23 HaraldBinder,Galizien inWien.Parteien,Wahlen, FraktionenundAbgeordnete imÜber-
gangzurMassenpolitik(StudienzurGeschichtederösterreichisch-ungarischenMonarchie,
29),Wien2005,S. 495–501. BernhardBachinger /WolframDornik
/StephanLehnstaedt16
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Title
- Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
- Subtitle
- Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Authors
- Wolfram Dornik
- Bernhard Bachinger
- Stephan Lehnstaedt
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1060-3
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- KUK, K.U.K, Habsburg, Monarchie, Österreich-Ungarn
- Categories
- Geschichte Vor 1918