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© 2020, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847110606 – ISBN E-Lib: 9783737010603
den;24 das Resultat dieser paternalistischen Vorgehensweise war allerdings
kontraproduktivundvertieftediebestehendenGräben. JenseitsdiesesBefunds
sollteallerdingsdieFragegestelltwerden,obdieDiagnosedieserkonstruierten
Differenzennicht letztlichdie imperialeDifferenzierungselbst fortschreibt.
RuthnersAufrufzurSelbstreflexiontrifftaufeininzwischenbeeindruckendes
methodisches und theoretischesArsenal derKolonialismusforschung: Zentral
erscheintvorallemdieFragenacheineranthropologischdefinierten inferioren
AndersartigkeitderUntertanen:galtensiealsgeistigoderkörperlichunterlegen,
oder als kulturell weniger leistungsfähig? Auch hier freilich ist von einer rein
statischenBestandsaufnahmeabzusehen, stattdessenmüssendynamischeEnt-
wicklungen einesDiskurses in Rechnung gestellt werden, dermit christlicher
Überlegenheit gegenüber ,Heiden‘ begann,über technischeMinderkompetenz
beiderBeherrschungderNaturundumweltdeterministischeSichtweisen–weil
,Wildheit‘ eineBeherrschungdesLebensumfelds verhinderte –bis hin zubio-
logistischemRassismus führte. ZuverschiedenenZeiten resultierte daraus ein
jeweils anders gearteter Sendungsglaube, eine Vormundschafts- und Verant-
wortungspflicht ineinemkomplementärenVerhältnis. InderModernetratdazu
die Vorstellung, dass eine politikfreie, gewissermaßen nüchterne Verwaltung
Chaos verhindern könne und erst die ersehnte Ordnung herstelle – jegliche
Aushandlungsprozessewarendafürüberflüssig.25
Das konkrete Handeln der Kolonisatoren unterschied sich von dieser Vor-
stellung durchaus, es bestand in derAndrohung undAnwendung vonGewalt
und in derÜbernahme traditioneller Herrscherrollen und Symbole; in enger
Überschneidungmiteinem,normalen‘ Imperialismus tratdieKooperationmit
den lokalenElitenhinzu, denenmittels eines divide et imperaZugeständnisse
gemacht wurden, damit Interessenkonvergenzen entstanden. Die jeweiligen
Formen dieser Praktiken bestimmte außerdem die konkreteMachtausübung,
diedurchausUnterschiedezurInkorporationkannteundteilweiseindirektoder
sogarnurüberEinflusssphärenerfolgte.26
Viele dieserGesichtspunkte lassen sich fürÖsterreich-Ungarn beobachten,
weshalb bereits seit einigen JahrenÜberlegungen angestellt werden, ob und
inwiefern es ein Kolonialreich gewesen ist.27 Die Entwicklungen im Ersten
24 Clemens Ruthner, Habsburgs ,Dark Continent‘. Postkoloniale Lektüren zur imperialen
österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert (Kultur – Herrschaft –
Differenz,23),Tübingen2018,S. 203–312.
25 Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, München 62009,
S. 113ff.
26 Osterhammel,Kolonialismus(wieAnm.25), S. 25f.und71.
27 Vgl.etwaMoritzCs#ky/JohannesFeichtinger/UrsulaPrutsch(Hg.),Habsburgpostcolonial.
Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis (Gedächtnis – Erinnerung – Identität, 2),
Innsbruck2003.
Einleitung:Österreich-Ungarns imperialeHerausforderungen 17
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Title
- Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
- Subtitle
- Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Authors
- Wolfram Dornik
- Bernhard Bachinger
- Stephan Lehnstaedt
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1060-3
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- KUK, K.U.K, Habsburg, Monarchie, Österreich-Ungarn
- Categories
- Geschichte Vor 1918