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© 2020, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847110606 – ISBN E-Lib: 9783737010603
ausgeführt hat61 – was vor allem imKontext der sich zur Jahrhundertwende
langsamzuspitzendenpolitischenVerhältnisse in derQuasi-Kolonie Bosnien-
Herzegowina, die zu den Schüssen von Sarajevo 1914 führen sollten, vonBe-
deutung ist.
Was zusätzlich für die Kolonie-Hypothese spricht, die ich mit Raymond
DetrezundRobertDoniateile,62 ist,dass jaauchdieDe-facto-Machtübernahme
inanderenRückzugsgebietendesOsmanischenReichswieÄgyptenundTunis
durch England beziehungsweise Frankreich international völlig selbstver-
ständlich imRahmeneineswestlichenKolonialismusgesehenwird.Verschließt
man sichdemaufgrundwackeliger und seltenhinterfragterKriterien,wonach
KolonieundMutterlandnormalerweisedurcheine„großeMengeSalzwasser“63
voneinandergetrennt sind, sohält einenparadoxerweisedie eigene imaginäre
Geografie,wasdennnunEuropaseiundwasnicht–also letztlichEurozentris-
mus! – davon ab, denKolonialismus der Landmächte Russland,Deutschland,
Österreich-UngarnundderOsmanen ebensowiebritischeKolonienauf euro-
päischemBoden (Stichwort: Irland) als das anzusehen, was sie letztlich sind.
(Post-)kolonialoder (post-)imperial?EinLösungsvorschlag
Parallel zummanifesten kakanischenErsatzkolonialismus inBosnienundder
Herzegowina zwischen 1878 und 1918 sehen wir im kollektiven politischen
Imaginären des habsburgischen Zentraleuropa quasikoloniale und postkolo-
nialeFormenundFantasienamWerk,diesichnichtnurbiszumheutigenTagin
der Literatur, sondern auch in diversen kulturellen Gebrauchstexten der
k.u.k.-Zeitgenerellniederschlagen.Dieskommtnachgeradeparadigmatischin
einem 1889 erschienenen ethnografischen Text eines deutschsprachigen Sie-
benbürgersmitpolnischenWurzeln,desSprachwissenschaftlers,Volkskundlers
undTsiganologenHeinrichvonWlislocki (1856–1907), zumAusdruck:
„Ziehenwir neben diesemKastenunterschied [!], der sich auch auf die Jugend er-
streckt,nocheinengewissenHangzumbeschaulichenLeben,womöglichohneArbeit
undMühe, inBetracht, sodürfenwirunsnicht imgeringstendarüberwundern,daß
61 Balandier, The Colonial Situation (wie Anm.16), S. 57: „The history of colonial societies
revealsperiodsduringwhichconflicts aremerely latent,whena temporaryequilibriumor
adjustmenthasbeenachieved, andperiodsduringwhichconflicts rise to the surface.“
62 Vgl. Donia, The Proximate Colony (wie Anm.42); RaymondDetrez, Colonialism in the
Balkans. Historic Realities and Contemporary Perceptions, in: Kakanien revisited. URL:
<http://www.kakanien-revisited.at/beitr/theorie/RDetrez1.pdf> (zuletzt abgerufen am
12.01.2018).
63 Vgl.RupertEmerson,Colonialism,in:DavidL.Sills(Hg.),InternationalEncyclopediaofthe
SocialSciences,Bd.3,NewYork1968,S. 1–5,hierS. 1.
(Post-)Kolonialismus in ,Kakanien‘ 81
Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Title
- Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen
- Subtitle
- Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900
- Authors
- Wolfram Dornik
- Bernhard Bachinger
- Stephan Lehnstaedt
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1060-3
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 362
- Keywords
- KUK, K.U.K, Habsburg, Monarchie, Österreich-Ungarn
- Categories
- Geschichte Vor 1918