Page - 32 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
Image of the Page - 32 -
Text of the Page - 32 -
Milena
bartlová32
wurden. Trotzdem bleibt das quantitative Miß-
verhältnis erklärungsbedürftig. Und in der Tat
kann man sich vorstellen, daß die Bedingungen
für das Überleben säkularer Werke noch schlech-
ter waren als im Fall der religiösen; sie bildeten
häufig Teile von profanen Gebäuden, bzw. von
Wohnausstattungen, oder es handelte sich um
praktische Gegenstände wie Zaumzeug, feierli-
che Gewänder und Schmuck oder Tafelzubehör,
alles Dinge aus Bereichen, wo starker Verschleiß
oder rascher Wandel der Mode herrschte.14 Dage-
gen ist das vergleichsweise wenigen Veränderun-
gen unterworfene und von schonendem Umgang
geprägte sakrale Milieu für eine Konservierung
von Bildern weit besser geeignet.
Doch hatten nicht alle für sakrale Aufgaben
bestimmte Bilder den gleichen Status. In der
kunstgeschichtlichen Reflexion hat sich lange
die Unterscheidung mittelalterlicher Bilder in
narrative, Kultbilder und Andachtsbilder gehal-
ten, wie sie in den zwanziger Jahren des 20. Jahr-
hunderts von Wilhelm Pinder, Georg Dehio und
Erwin Panofsky eingeführt worden war.15 Das
Andachtsbild wurde dabei als eine spezifische
Bildkategorie verstanden, die weder eine didak-
tische Hilfe noch eine authentische Repräsentati-
on des Sakralen darstellt, anders als das moderne
Bild aber auch nicht zur eine ästhetischen Rezep-
tion bestimmt ist, sondern vor allem emotional
Eindruck machen soll. Die folgenden Genera- tionen von Mediävisten haben im Rahmen einer
in die Moderne integrierten Kunstgeschichte
angenommen, es sei möglich, das Andachtsbild
von seinem Thema her zu definieren. Aus heuti-
ger Sicht – angesichts eines neuen Verständnisses
von Emotionalität und vor dem Hintergrund
der Entwicklungen auf dem Gebiet der Neuro-
logie der Wahrnehmung – erscheint diese lan-
ge Debatte inhaltsleer, und man darf sie wohl
als mit negativem Ergebnis beendet betrach-
ten. Ebensowenig funktioniert die Kategorie
Andachtsbild aus der Perspektive des Studiums
historischer Kommunikationsmedien. Um zu
identifizieren, ob das jeweilige konkrete Werk
für die Ausübung persönlicher Frömmigkeit
bestimmt war, erscheint eine Unterscheidung
nach Größe und nach Hinweisen darauf, ob das
Bild eher für eine Wahrnehmung aus der Ferne
und im öffentlichen Raum oder aus der Nähe
und in einer intimen Situation vorgesehen war,
als die pragmatischste.16 Wirklich angebracht
ist der Begriff Andachtsbild wohl nur bei Zei-
chenarrangements wie etwa den „Arma Chrsti“,
deren Ursprung in der rhetorischen Tradition
und vor allem in der mnemonischen Kultur zu
suchen ist.17 Was die narrativen Bilder des Mit-
telalters angeht, so werden sie gegenwärtig vor
allem als Kommunikationsmittel an der Schwelle
zur oralen Kultur sowie als Teil des hagiographi-
schen Diskurses untersucht.18 Die Frage schließ-
14 Zur säkularen Kunst M. Camille, Die Kunst der Liebe im Mittelalter, Köln 2000.
15 Eine komplette Übersicht zum Thema mit relevanten Literaturangaben bietet K. Schade, Ad excitandum devo-
tionis affectum. Kleine Triptychen in der altniederländischen Malerei, Weimar 2001. Das Konzept wurde kritisch
besprochen von T. Noll, Zu Begriff, Gestalt und Funktion des Andachtsbildes im späten Mittelalter, in: Zeitschrift
für Kunstgeschichte 67, 2004, S. 297–328. Vgl. auch J. Hamburger, ‘To make women weep’. Ugly Art as “Femi-
nine” and the Origins of Modern Aesthetics, in: Res: Anthropology and Aesthetics XXXI, 1997, S. 9–34.
16 H. Van Os (Hrsg.), The Art of Devotion, in the Late Middle Ages in Europe 1300–1500, Amsterdam, 1994; F.
M. Kammel (Hrsg.), Spiegel der Seligkeit. Privates Bild und Frömmigkeit im Spätmittelalter, Ausstellungskatalog,
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 31.05.2000–08.10.2000, Nürnberg, 2000; G. Jaritz, Nähe und Distanz
als Gebrauchsfunktion spätmittelalterlicher religiöser Bilder, in: K. Schreiner/M. Müntz (Hrsg.), Frömmigkeit
im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 331–346.
17 R. Suckale, Arma Christi. Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit mittelalterlicher Andachtsbilder, in: Städel-Jahr-
buch 6, 1977, S. 177–208.
18 H. Belting/D. Blume (Hrsg.), Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, München
1989; W. Kemp, Sermo corporeus. Die Erzählung der mittelalterlichen Glasfenster, München 1987; Ders., Christ-
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur