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des vollendeten Werks – den spezifischen Mate-
rialeigenschaften wenig Rechnung trägt.3 Dem-
gegenüber rationalisieren Bildhauer wie Bene-
detto da Maiano dank ihrer holztechnologischen
Erfahrung, die sie in den großen Familienwerk-
stätten sammeln konnten, den Produktionspro-
zeß so weit wie möglich.4 Der Restaurator Peter
Stiberc (Florenz, Opificio delle Pietre Dure) hat
die Assemblagetechniken der florentinischen
Bildhauer des 15. bis 17. Jahrhunderts untersucht:
„Eine weitere Technik, die ich im Folgenden als
Assemblagetechnik bezeichnen werde, konnte
ich an den Skulpturen des späten Quattrocen-
to in Florenz feststellen. Bei dieser Technik, die
bislang kaum Beachtung gefunden hat, wurde
das nötige Holzvolumen erreicht, indem zwei
oder mehr Schichten von Brettern miteinander
verleimt wurden. […] Es ist sicher kein Zufall,
daß die Assemblagetechnik von Bildhauern
eingeführt wurde, die auf die Herstellung von
Holzskulpturen spezialisiert und die meist als
‘legnaiuoli’ ausgebildet waren.“5 Eine derartige
Vorgehensweise verfolgte der holzhandwerklich
versierte Benedetto da Maiano für das Kruzifix
im Florentiner Dom. Indem er mehrerer Holz-
teile zusammengefügte, erreichte er nicht nur
eine Angleichung der Holzbearbeitung an die
des Marmors (da – ob Holz oder Marmor ver-
wendet wird – zumindest für den Zentralteil ei-
ner Statue von einem Gesamtblock auszugehen
ist), sondern so verringerte sich gegenüber einem
gleichgroßen massiven Holzblock auch die Ge-
fahr eines durch Feuchtigkeit hervorgerufenen Verziehens der Holzes. Letzteres kam der Kon-
servierung der Statue zugute.6
Die folgenden Überlegungen wollen be-
leuchten, wie Michelangelo sich der Herstellung
von Holzskulpturen näherte. Holz war für ihn
ein Material, mit dem er es nur bei gegebenen
Gelegenheiten aufnahm. Dies geht auch aus den
Worten seines Biographen Ascanio Condivi her-
vor. Michelangelo, so Condivi, habe das Kruzifix
in Santo Spirito vornehmlich aus Dankbarkeit
gegen Niccolò Bichiellini geschaffen, den Prior
des Augustinerkonvents, dem er in Freundschaft
verbunden war: In questo tempo Michelagnolo, a
compiacenza del priore di Santo Spirito, tempio
molto onorato nella città di Firenze, fece un Cro-
cifisso di legno, poco meno che ‘l naturale, il quale
fin ad oggi si vede in su l’altare maggiore di detta
chiesa. Ebbe col detto priore molto intrinseca pra-
tica, sì per ricever da lui molte cortesie, sì per essere
accomodato e di stanza e di corpi da poter far noto-
mia, del che maggior piacer far non se gli poteva.7
Für die Darstellung eines gekreuzigten Christus
war Holz der übliche Werkstoff. Offensichtlich
also entschied sich Michelangelo für dieses Ma-
terial nicht aus freien Stücken, sondern von den
Umständen veranlaßt. Insgesamt ist Holz als ein
Material anzusehen, das ihm weitgehend unver-
traut war. Gewißheit über die Ausführung von
Holzfiguren durch Michelangelo besteht nur für
das Kruzifix aus Santo Spirito und für eine kleine
Darstellung des Gekreuzigten, die Michelangelo
im hohen Alter begann und unvollendet zurück-
ließ.
3 Einen besonderen Fall stellt die Magdalena im Museo dell’Opera del Duomo (Florenz) dar, die aus einem massiven
Holzblock gefertigt ist und eine starke Grundierschicht aufweist, deren Oberfläche durch das Arbeiten des darunter
liegenden Holzes stark beschädigt ist; vgl. G. B. Fidanza, Caratteristiche tecnologiche e formali delle specie legnose:
una verifica su statue e intagli di età moderna, in: G. B. Fidanza/N. Macchioni (Hrsg.), Statue di legno. Caratte-
ristiche tecnologiche e formali delle specie legnose, Rom 2008, S. 37–38, bes. S. 56.
4 Unter Holztechnologie ist die Kenntnis der Struktur, der spezifischen Eigenschaften und der Bearbeitungsmethoden
des Werkstoffs zu verstehen.
5 P. Stiberc, Polychrome Holzskulpturen der Florentiner Renaissance. Beobachtungen zur bildhauerischen Technik,
in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 33, 1989, S. 210–212.
6 Vgl. G. B. Fidanza, La produzione di statue dei legnaioli-scultori. Riflessioni su Benedetto da Maiano e Leonardo
del Tasso, in: Kronos 11, 2007, S. 25–28.
7 Ascanio Condivi, Vita di Michelagnolo Buonarroti (1553), G. Nencioni (Hrsg.), Firenze 1998, S. 15.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur