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Raum und jüdische Differenz im Wiener Fußball 133
Juden“ und dem „jüdisch“ interpretierten Kaffeehaus in Verbindung ge-
bracht.89
Die Zuschreibung als „jüdisch“ oder „nichtjüdisch“war ein Aspekt inner-
halbkomplexerräumlicherZuschreibungen.DiesewarenfreilichErgebniseiner
performativenAushandlung, die – zumindest für eine gewisse Zeit –Verbind-
lichkeitbeanspruchenkonnte:90 InnerhalbdieserRäumeagiertennichtjüdische
und jüdischePersonen,wennauch indifferentenKonstellationenundmit un-
terschiedlicherDefinitionsmachtausgestattet.MitHenri Lefebvre lässt sich for-
mulieren,dassdieseRäumegemeinschaftlichdefiniert underfülltwurdenund
ebenso Ergebnis wie Voraussetzung der Vereinbarung waren.91 Die Verhinde-
rungdesHakoah-Platzes inFloridsdorf hatte einevordergründigeUrsache, die
in der Bevorzugungdes sozialdemokratischenSportverbandes in einemArbei-
terbezirk zu finden ist. Dahinter steht derKonflikt zwischenArbeiter- undbür-
gerlichemSport, der das Sportleben inWienab 1918nachhaltig prägte. Indie-
semSinnwurdederPlatz freilichnichtder jüdischen,sondernderbürgerlichen
Hakoahverweigert, schließlichwaren Judenauf beidenSeitenmaßgeblich im
Sportgeschehen involviert. Nicht imWiderspruch dazu steht das Argument,
dassdieFloridsdorferSozialdemokratInnen (egalob jüdischodernicht) fürch-
teten, ihr Bezirk könnte durch den Zuzug der Hakoah als jüdischer Ort, der
Sportplatz derHakoahals jüdischer „meetingplace“markiertwerden.92 Dazu
kommtdieentscheidendeFormulierungmangelnderBodenständigkeitderHa-
koah.Daskannantisemitischgelesenwerden,war aber auchdemWissenda-
rüber geschuldet, dass die überwiegendeMehrzahl der Aktiven, Funktionäre
undAnhängerInnenderHakoahebennichtausdemBezirkstammte.DenKon-
trahenten als „jüdisch“ zumarkieren impliziert, dass die eigenePosition eine
„nichtjüdische“ ist: In ihrerOpposition zurHakoahwurdenSiegfriedDeutsch
und Leo Klagsbrunn als „bodenständige“ Floridsdorfer wahrgenommen und
versuchtensichvermutlichauchselbstsozupositionieren.Oder,alseinealter-
nativeLeseweise:Siewolltenihr Jüdischseinals integralenundselbstverständ-
lichen Teil ihrer Zugehörigkeit zuWien bzw. Floridsdorf verstandenwissen –
und nicht als entscheidende Differenz. Ungeachtet ihrer jüdischen Herkunft
undihrerPartizipationinder jüdischenGemeindefühltensiesichalsTeileiner
89 Marschik, „Muskel-Juden“, 274.
90 KlausHödl,Performanz inder jüdischenHistoriographie.ZudenVor-undNachteileneines
methodischenKonzeptes. In: KlausHödl (Hg.), Kulturelle Grenzräume im jüdischenKontext.
(Innsbruck/Wien/Bozen 2008) 175–189, hier 177; KlausHödl,Wiener Juden– jüdischeWiener.
Identität, Gedächtnis undPerformanz im19. Jahrhundert (Innsbruck 2006) 71u. 99f.
91 HenriLefebvre, TheProductionof Space (Oxford 1991) 42.
92 DoreenMassey, Space, Place andGender (Minneapolis 1994) 154.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918