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„Bodenständigkeit“ als Metapher 137
Oesterreich anerkannte Volksstamm, trotzdem fehle ihr die politische, soziale
undökonomischeSelbstständigkeit,wiesievielkleinerenVolksstämmenwider-
spruchslos zuerkannt ist“.103 Und der Autor Felix Salten forderte 1909 in der
Brünner JüdischenVolksstimmenachdrücklichdieAkzeptanzderBodenständig-
keit von Judenund Jüdinnen ein: Zumeinen verlangemanals Judeüberall in
Europamehralsnur „Gastrecht“ein, zumanderendürfedie jüdischeReaktion
auf dessen Verweigerung nicht der Abfall vom Judentum sein. „Wir sind hier
bodenständig.Zeigensiemirheute irgendeinVolk inEuropa,das tausendJahre
auf seinemPlatze ist.Wir sind inGermanien,Gallien, Britannienusw.mit den
Römern eingezogen.Wir habendiese Länder eher bewohnt als alleVölker, die
uns von hier wegweisen wollen.“104 Vor allem in deutschnationalen Blättern
wurdeJudenundJüdinnenBodenständigkeitdagegenabgesprochen.DasDeut-
sche Volksblatt berichtete von den Forderungen auf einer Versammlung der
deutscharischenHandelsgehilfen:„Eskannniegenugundniegenugoftausge-
sprochenwerden, daß die deutscharische Bevölkerung inWien bodenständig
ist und daßwir alle verpflichtet sind, den Boden vonWien deutscharisch zu
erhalten.“105 Es sei also nicht weniger als anmaßend, wenn sich Juden, vor
allem die „in derWiener City sich bereits bodenständig fühlenden jüdischen
Kreise“,106 als autochthoneBevölkerungbezeichneten.
„Bodenständigkeit“ als spezifischeMetapherundChiffre
derZwischenkriegszeit
In der Zwischenkriegszeit wird „bodenständig“ zu einem politischen, gesell-
schaftlichen und kulturellen Terminus. Wo Zugehörigkeit umkämpft ist, wo
GruppenumIntegrationund Integrität kämpfen,die ihnenvonanderenGrup-
pen abgesprochenwerden, paradigmatisch also in der Frage jüdischer Diffe-
renz, wurde „bodenständig“ zu einer zentralen Vokabel in der rhetorischen
Ausverhandlung von In- undExklusion. Dabei ging es vor allemauchumdie
FragevonGroßstadt vs. Land,wie JoachimSchlör anmerkt: „Zudenzentralen
Deutungsmustern im Verhältnis zur Großstadt gehört der angebliche Wider-
spruch zwischen einer städtischenKultur unddemBegriff der ‚Bodenständig-
keit‘.“107DerBegriffwurde–zumal inÖsterreichmitseinemstarkenGegensatz
103 DeutschesVolksblatt (Wien) (7. 1. 1907) 5.
104 FelixSalten, DerAbfall vom Judentum. In: JüdischeVolksstimme (10.9. 1909) 1.
105 DeutschesVolksblatt (Wien) (17. 3. 1911) 10.
106 DeutschesVolksblatt (Wien) (25. 3. 1914) 1.
107 JoachimSchlör,Das IchderStadt.Debattenüber JudentumundUrbanität 1822–1938(Göt-
tingen 2005) 327.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918